Medienerziehung

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Immer online - Wann ist Mediennutzung problematisch?

Grafik SUCHT.HAMBURG

Seit rund 20 Jahren diskutiert die Wissenschaft über die Frage, ob das Internet süchtig machen kann. Seit rund zehn Jahren melden sich auch immer mehr Betroffene, die mit negativen Folgen kämpfen, die stark an eine Suchterkrankung erinnern. Die Drogenbeauftrage des Bundes hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Klarheit in die Diskussion zu bringen und widmet sich in ihrer Jahrestagung 2016 der „Generation Internetsüchtig“.

 

Im Gespräch beantwortet Colette See, Referentin bei SUCHT.HAMBURG und ausgewiesene Expertin für den Bereich internetbezogener Störungen, Fragen zur exzessiven Mediennutzung. SUCHT.HAMBURG ist die zentrale Fach- und Koordinationsstelle für Suchtfragen in Hamburg.

 

Warum ist es bis heute so schwierig, von „Internetsucht“ zu sprechen?

Auch wenn wir immer mehr über internetbezogene Störungen wissen, ist noch nicht abschließend geklärt, ob es sich um eine eigenständige Abhängigkeitserkrankung handelt. Einige Wissenschaftler zweifeln an, dass das Internet süchtig machen kann. Sie diagnostizieren eher psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder ADHS als primäres Störungsbild der Betroffenen und bewerten die exzessive Nutzung als Kompensationsversuch. Die Befürworter der Verhaltenssucht argumentieren, dass klassische Merkmale einer Suchterkrankung wie beispielsweise Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Zwanghaftigkeit oder Entzugserscheinungen vorliegen und befürworten vor diesem Hintergrund die Anerkennung als Suchterkrankung.

 

Wann ist Internetnutzung problematisch?

Meist sind es fortlaufende Spielwelten mit den ständigen Belohnungs- und Erfolgsmöglichkeiten, die einen großen Reiz auf die Nutzerinnen und Nutzer ausüben. Daneben üben Soziale Medien eine große Faszination aus. Da sie auf dem Smartphone immer und überall verfügbar sind und fortlaufend für Bestätigung sorgen, binden sie die Konsumenten stark ein. Aber auch exzessives Recherchieren oder der Konsum pornographischer Inhalte stehen unter dem Verdacht, abhängig zu machen.

Jedoch sind nicht alle, die viel Zeit vor dem Computer, Handy oder der Spielkonsole verbringen, gefährdet. Die zeitintensive Nutzung kann aber ein Hinweis auf eine problematische Nutzung sein. Erstzunehmende Signale bei Heranwachsenden sind, wenn die Mediennutzung das Denken, Fühlen und Handeln immer mehr bestimmt, die sozialen Kontakte sich immer mehr in die Online-Welt verlagern, Nervosität und Gereiztheit auftreten, wenn Medien nicht genutzt werden können oder Hobbies und Schule vernachlässigt werden.

 

Wie kann man das verhindern?

Medienkompetenzförderung in der Kita, Schule oder auch außerhalb der Schule kann ebenso schützen, wie Medienerziehung in Familien. Je jünger Kinder sind, desto weniger sollten digitale Medien ein fester Bestandteil des Alltags sein. Nimmt die Mediennutzung zu, müssen Kinder und Jugendliche lernen, dass auch das Ausschalten dazu gehört. Das bedeutet, mehr medienfreie Räume schaffen, in denen bewusst auf digitale Ablenkung und Unterhaltung verzichtet wird. Leitmotiv präventiver Aktivitäten sollte die Förderung von Kompetenz statt Abstinenz sein.

 

Welche Rolle spielen die Politik und die Prävention?

Zunächst einmal ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche geschützt werden, wenn Spiele oder Anwendungen im Internet gefährlich sein könnten. Das heißt, es bedarf verbindlicher Altersbewertungen und Werbeverbote für suchtfördernde Angebote. Ebenso müssten die Entwicklung, Beforschung und Umsetzung von Präventionsangeboten finanziert werden. Ähnlich wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen sollte auch die Behandlung und Therapie anerkannt und von den Sozialleistungsträgern finanziert werden.

 

Was können Eltern tun, um zu vermeiden, dass ihre Kinder zu viel Zeit im Internet verbringen?

Eltern sollten unbedingt aufmerksam und interessiert daran sein, welche Apps, Spiele und Inhalte ihre Kinder nutzen. Sie sollten von Anfang an mit ihren Kindern im Gespräch bleiben und vor allem bei Jüngeren klare Grenze ziehen, was, wie lange und wann erlaubt ist und was nicht. Und nicht zuletzt, spielt die Vorbildfunktion der Eltern eine entscheidende Rolle, die in vielen Familien leider oft zu wenig bedacht wird.

 

Wie können Kinder und Jugendliche lernen, richtig mit dem Smartphone, Tablet und Co umzugehen?

Eine gute Möglichkeit kann eine sogenannte Medienwerkstatt an Schulen sein, in der Raum für die Nutzung einzelner Anwendungen gegeben wird, über die man sich aber auch gemeinsam austauscht. Was ist besonders faszinierend? Was ist neu oder ungewöhnlich? So können Bindungsfaktoren von Anwendungen identifiziert und an deren Potenziale angeknüpft werden, um zu versuchen, diese wieder in die Realität zu übertragen. Beispielsweise haben gerade exzessiven „Gamer“ vielfältige Kompetenzen, was die Entwicklung von Problemlösungsstrategien oder Teamarbeit angeht. Zum Teil müssen sie wieder lernen, diese Ressourcen auch in Schule oder Ausbildung einzubringen, um auch dort Erfolgserlebnisse zu sammeln.

 

Wie sieht es mit Ihrer Internetnutzung aus?

Um ehrlich zu sein benutze ich mein Smartphone auch viel zu häufig und surfe zur Entspannung oder zur Ablenkung nach einem anstrengenden Tag. Meist im Urlaub, wenn kein Internet zur Verfügung steht, merke ich, dass es viel schöner ist die Augen nicht auf das Handy zu richten, sondern die Umgebung zu erkunden und wahrzunehmen.


Interview mit Colette See, Referentin Sucht.Hamburg gGmbH
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