Medienerziehung

  • Interview

Mach dir selbst ein Bild! - Wie Jugendliche für extremistische Ansprachen im Netz sensibilisiert werden können

Projekt bildmachen | Ansicht: Prävention in Sozialen Medien

Die aktuelle JIM-Studie zeigt: Soziale Netzwerke, insbesondere Instagram, Snapchat und TikTok, sind bei Heranwachsenden beliebt. Dort tauschen sie sich mit Freund:innen aus, posten Bilder, die ihnen gefallen und kommentieren das aktuelle Weltgeschehen. Dabei können Kinder und Jugendliche auch mit Hasskommentaren, Falschnachrichten und extremistischen Inhalten konfrontiert werden. Wie Jugendliche präventiv für islamistische und rechtsextremistische Ansprachen sensibilisiert und sie darin bestärkt werden können, eigene Positionen zu gesellschaftlichen Fragen zu formulieren, zeigt das Projekt bildmachen, welches Workshops für Jugendliche und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte anbietet. Über das Projekt, das ein Teil der Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischen Rassismus und Islamismus von ufuq.de ist, sprachen wir mit Maryam Kirchmann, die als Projektkoordinatorin für bildmachen tätig ist.

Worum es im Projekt bildmachen geht

Das Projekt bildmachen, dass 2017 als Bund-Länder-Projekt gestartet ist und inzwischen in die Regelstruktur in Berlin und NRW übergegangen ist, richtet sich an Jugendliche und pädagogische Fachkräfte. In den Workshops für Kinder und Jugendliche ab der sechsten Klasse, die in der Regel in Schulen stattfinden, geht es darum, Heranwachsende präventiv für extremistische Ansprachen im Netz zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge zu vermitteln, um eigene Inhalte und Positionen in Sozialen Medien einzubringen. Ein Workshop behandelt die Themen Hate Speech (englisch= Hassrede) und Fake News (englisch= Falschnachrichten) im Netz und unterscheidet zwischen einer Schwerpunktsetzung von drei Modulen: „Rassismus und Diskriminierung“, „Geschlechterrollen“ und „Verschwörungserzählungen“.

Die Fortbildungenfür pädagogische Fachkräfte informieren darüber, wie Jugendliche mit extremistischen Inhalten in Kontakt kommen und zeigen medienpädagogische Angebote auf, die Pädagog:innen in ihrer Arbeit nutzen können, um für das Thema Extremismus zu sensibilisieren.

Workshops für Jugendliche - Empowerment und Reflektion

In den Workshops, die in der Regel einen Tag dauern, wird großen Wert auf einen Bezug zu Lebenswelten von Jugendlichen gelegt: „Unsere Workshops sind daher als Peer-to-Peer-Workshops angelegt, das heißt, sie werden von jungen Menschen durchgeführt, die wissen, was Gleichaltrige beschäftigt und können so gut auf Augenhöhe Inhalte vermitteln“, erläutert Maryam Kirchmann. Die Peers (englisch = Gleichaltrige:r) durchlaufen im Vorfeld eine mehrtätige Schulung, in der sie entsprechende Methoden und Fähigkeiten lernen, um einen Workshop durchzuführen.

Zu Beginn eines Workshops geht es erst einmal darum, sich spielerisch gegenseitig kennenzulernen. Dafür kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, wie beispielsweise Quizfragen oder auch eine soziometrische Aufstellung, um einen Austausch untereinander anzuregen und ein Stimmungsbild in der Gruppe einzufangen. Bei einer soziometrischen Aufstellung geht es darum, Stellung zu Fragen zu beziehen und sich anhand von festgelegten Kriterien beziehungsweise Antwortmöglichkeiten entsprechend zu positionieren. „Hier lässt sich beobachten, dass es Teilnehmenden nicht immer leichtfällt, eine klare Aussage zu treffen“, sagt Maryam Kirchmann. „Zum Beispiel sagen manche, dass sie es nicht so schlimm fänden, wenn sie sehen, dass jemand anderes im Netz beleidigt wird, empfinden es aber als schlimm, wenn sie selbst diejenigen sind, die von Beleidigung betroffen sind.“

Im Kern geht es in den Workshops darum, sich dem Thema Extremismus durch lebensweltnahe Themen Jugendlicher, wie der Umgang mit Sozialen Medien, aber auch die Konfrontation mit Hate Speech, Diskriminierung und Verschwörungserzählungen im Netz, anzunähern. So lässt sich an persönliche Erfahrungen und Erlebnisse in Sozialen Medien anknüpfen: „Wir sprechen dann also darüber, was es mit einer Person macht, wenn sie zum Beispiel einen Beitrag in einem Sozialen Netzwerk liest beziehungsweise sieht oder mit etwas konfrontiert wird“, erklärt Maryam Kirchmann. Wichtig ist es hier, darauf zu achten, nicht verletzend zu kommunizieren und auf die einzelnen Bedürfnisse gegenseitig Rücksicht zu nehmen. Eine gute Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und Positionen einzubringen, bieten auch passende Videos, wie beispielsweise von den „Datteltätern“, einer Gruppe junger Menschen, die einen Satirekanal auf YouTube gegründet haben und gegen gängige Vorurteile gegen Muslime satirisch aufräumen wollen. Zunächst wird herausgearbeitet, was in den Videos thematisiert wird, um danach in eine tiefere Diskussion einzusteigen.

Der zweite Teil des Workshops besteht darin, dass die Jugendlichen selbst Produkte zu den Themen Identität, Rassismus oder Islamismus erstellen, um so eigene Meinungen und Perspektiven aufzuzeigen. Die Teilnehmenden lernen, Kurzvideos und Memes - Bilder mit Textbotschaften - zu gestalten, die sich für kurze Botschaften in Sozialen Medien gut eignen. Neben der Stärkung von Medienkompetenz geht es insbesondere darum, Memes als Werkzeug einzusetzen, um sich proaktiv in Debatten einzubringen und an diesen teilzuhaben. So soll dem Gefühl von Machtlosigkeit entgegengewirkt werden und Heranwachsende in ihren Handlungsmöglichkeiten, sich gegen Rassismus, Ausgrenzungen und Abwertungen zu positionieren, gestärkt werden. Zugleich werden durch die Erstellung von Memes und Videos Reflexionsprozesse angestoßen, in denen auch über das eigene Handeln und Verhalten nachgedacht wird. Zum Beispiel können Memes auch doppeldeutige Botschaften vermitteln. „Hier geht es uns dann vor allem darum, die unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema aufzuzeigen und einen Denkprozess anzuregen“, erklärt Maryam Kirchmann.

Die Rolle pädagogischer Fachkräfte

Eine gute Basis an Wissen und Methoden ermöglicht es, pädagogischen Fachkräften, Heranwachsende für das Thema Extremismus zu sensibilisieren: „ufuq selbst hat einige Publikationen und auch den Podcast „Wovon träumst du eigentlich nachts“, der sich an Pädagog:innen und an Jugendliche richtet“, erläutert Maryam Kirchmann.

Grundsätzlich ist es wichtig, in ein offenes Gespräch mit Heranwachsenden zu gehen, ihnen zuzuhören und vorurteilsfrei zu begegnen. Dazu gehört es auch, Meinungen nicht gleich zu verurteilen und sie für falsch zu erklären. „Entscheidend ist es, dass pädagogische Fachkräfte einen Denkprozess bei Jugendlichen anregen und sie ermuntern, das, was sie im Netz gelesen und gesehen haben, kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren“, sagt Maryam Kirchmann. Dabei hilft es, an Themen anzuknüpfen, die auch einen Bezug zu jugendlichen Lebenswelten haben. Oft kann auch die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ein guter Einstieg sein, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Zudem ist es wichtig, als Erwachsener den Entwicklungsprozess von jungen Menschen wahrzunehmen und auch zu akzeptieren, dass es in der Suche nach dem eigenen Ich auch Phasen geben kann, in denen einfache Antworten auf Fragen gesucht und für gut empfunden werden. Genauso kann es sein, dass eine Meinung, die zunächst für gut befunden wird, einige Tage später wieder revidiert wird. Ebenso kann es vorkommen, dass Aussagen getroffen werden, um zu provozieren und die eigenen Grenzen auszutesten. All das ist völlig normal in der Entwicklung der eigenen Identität. Ein Konflikt bedeutet nicht gleich Radikalisierung. Hellhörig sollten Erziehende werden, wenn absolute Wahrheitsansprüche geltend gemacht werden. „Dann ist es wichtig, ins Gespräch zu gehen zu ergründen, was sich hinter den Aussagen verbirgt. Das bietet auch die Möglichkeit alternative Perspektiven aufzuzeigen“, betont Maryam Kirchmann.

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Bettina Goerdeler, Initiativbüro

Quelle: Maryam Kirchmann, Projektkoordinatorin bei bildmachen