Medienerziehung

  • Hintergrund

Medienerziehung: Welche Rolle spielt meine Haltung?

Frau mit Tablet und Kindern in der Schule

Haltung ist ein schwieriger Begriff. Man kann auch Einstellung oder Überzeugung sagen. Diese persönlichen Einstellungen sind besonders wichtig für die Arbeit einer pädagogischen Fachkraft. Doch was ist damit gemeint? Warum hat sie etwas mit Medienkompetenz zu tun? Und wie kann man seine eigene Haltung überprüfen und verändern?

 

Haltung in der pädagogischen Praxis

 

Untersuchungen zeigen, dass vor allem die eigenen Überzeugungen darüber entscheiden, ob pädagogisches Personal digitale Medien nutzt oder nicht. Es sind nicht die Geräteausstattung oder die Fortbildungen, die bestimmen ob sie mit Medien in pädagogischen Situationen erfolgreich umgehen - sondern ihre Haltung. An zweiter Stelle kommt die Selbstwirksamkeitserwartung. Das bedeutet: die Fachkraft glaubt, dass etwas - zum Beispiel die Arbeit mit dem Tablet in der Kita oder Schulklasse - gelingen wird. Hierfür muss sie nicht alle Technik immer perfekt selbst beherrschen, sondern auch darauf vertrauen, die technischen Schwierigkeiten mit den Kindern oder Jugendlichen gemeinsam zu bewältigen.
Vor allem aber das, was die pädagogische Fachkraft von den Medien hält, also ihre Haltung, scheint ausschlaggebend für die erfolgreiche Nutzung und den pädagogischen Einsatz von Medien. Und das ist eben nicht einfach zu verändern.

 

Alle Menschen werden durch ihre Erziehung und sozialen Erfahrungen geprägt. Sie bringen in ihre Ausbildung diese persönlichen Neigungen mit. Viele Studierende im Lehramt haben eine kritische Haltung zum pädagogischen Medieneinsatz, obwohl sie digitale Medien im Alltag intensiv nutzen. In der Ausbildung nehmen sie daher unbewusst vor allem solche Informationen wahr, die ihre bisherige medienkritische Überzeugung verstärken.

 

Kann man Haltung messen?

 

Es ist sehr schwer, diese Überzeugungen wissenschaftlich zu messen. Bei ihrem Wissen und ihren Fertigkeiten (also dem praktischen Können) ist das viel einfacher. Die können wir testen. Entweder der Getestete kann die Rechenaufgabe lösen oder nicht. Bei der Prüfung der Haltung sind wir jedoch auf ehrliche und wahrhaftige Antworten der Untersuchten angewiesen. Wir können die Wahrhaftigkeit der Aussagen nicht wirklich überprüfen. Wenn Menschen nicht wahrhaftig sein wollen, können sie lügen. Nach dem Psychologen Weinert (1999) muss man jedoch alles Wissen und Können auch irgendwie wollen.

 

Was bedeutet Haltung?

 

Die Philosophie nennt dieses Wollen auch Neigung. Der Mensch ist ein vernünftiges Wesen, er kann über seine Beweggründe zum Handeln nachdenken. Aristoteles (384-322 vor Christus) empfahl dazu, die zwei extremen Ausprägungen zu bestimmen, die für eine Handlung wichtig sind und als Orientierung die goldene Mitte anzupeilen. In unserem Fall: Zwischen unkontrolliertem Mediengebrauch rund um die Uhr und radikaler Medienvermeidung wird die Mitte als Orientierung gewählt. Dieses Dazwischen kann jedoch sehr individuell sein.

 

Immanuel Kant (1724-1804) geht noch einen Schritt weiter. Sein Kategorischer Imperativ fordert: Jeder Mensch handele so, dass die Maxime seines Handelns jederzeit und überall zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden können. Wir kennen diese Regel im Volksmund etwas weniger kompliziert: Was Du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem anderen zu.

 

Er nennt dazu das Beispiel des ehrlichen Kaufmanns: Ein Kaufmann stellt fest, dass ein Kunde ihm versehentlich zu viel Geld gegeben hat. Er ruft ihm nach und gibt ihm das überzahlte Geld zurück. Dies kann aus zwei Gründen geschehen: Weil er ein grundehrlicher Mensch ist und nicht betrügen möchte - oder weil er glaubt auf lange Sicht sonst schlechter dazustehen. Wenn der Kunde den Betrug nämlich irgendwann bemerkt, kommt er vermutlich nicht zurück.

Eigentlich ist es egal, warum der Kaufmann das Geld zurückgibt. Mit dem Zurückgeben hat er sich so verhalten, dass alle einen Vorteil davon haben. Der Kaufmann mag das Geld eigentlich nicht wieder verlieren - aber er erkennt den längerfristigen Sinn des Zurückgebens und entscheidet sich danach.

 

Haltung und Medienerziehung

 

Bei den digitalen Medien ist es ähnlich: Wir müssen sie nicht alle gut finden. Andererseits ist es sinnvoll, Kinder auf die Nutzung digitaler Medien umfassend vorzubereiten. Unsere heutige Gesellschaft funktioniert nicht ohne digitale Medien. Deshalb wird Medienkompetenz auch in den Bildungsplänen gefordert.

Trotzdem reagieren beim Thema Medien viele Lehrkräfte und Erziehende oft ablehnend. Diese ablehnende Haltung ist jedoch nicht im Sinne der Kinder. Denn wir müssen auf jeden Fall versuchen, dass alle Kinder - unabhängig von ihren Familien - über Kita und Schule auf Chancen und Risiken der digitalen Medien vorbereitet werden, damit sie sich gut in der Welt zurechtfinden.

 

Wir können an unseren Haltungen nur selbst arbeiten. Dazu müssen wir erst einmal klären, was wir über digitale Medien wissen und denken. Diese kritische Betrachtung eigener Überzeugungen öffnet uns für andere Meinungen. So finden wir die goldene Mitte und prüfen ob unsere Haltung andere benachteiligt. Haltung einnehmen heißt also eigentlich zu wissen, was einen bewegt und dies verantworten zu können. Und als pädagogische Fachkraft können wir auch selbst privat bei unserer Meinung bleiben, aber aus professioneller Verantwortung anders handeln: Das ist Professionalität. Ein Friseur oder eine Friseurin schneidet auch andere Haarfrisuren als die, die er oder sie selbst trägt.

 

Es geht also um Wissen und Können als Profi - nicht als Privatperson. Für pädagogische Fachkräfte bedeutet die kritische Prüfung eigener Haltungen immer auch: sich zu informieren und gezielt auch andere Meinungen zur Kenntnis zu nehmen. „Die Kinder daddeln den ganzen Tag und haben keine sozialen Kontakte mehr“ ist ebenso falsch wie „Kinder, die viele digitale Medien nutzen, sind besonders klug“.

Hinterfragen hilft dabei, eigene Haltungen zu relativieren und aktuell zu halten. Denn weil sich unsere Gesellschaft verändert, müssen sich gerade Pädagoginnen und Pädagogen immer wieder neu auf sie einstellen und die Grundlage ihrer Erziehungsarbeit mit den Erfordernissen für die heranwachsende Generation abgleichen.

 

Weitere Informationen

 


Quelle: Prof. Dr. Gudrun Marci-Boehncke, Leitung Forschungsstelle Jugend-Medien-Bildung an der Technischen Universität Dortmund