Medienerziehung

  • Interview

Was machen Jugendliche eigentlich den ganzen Tag im Netz?- Aufwachsen im „Sozialraum Internet“

Junge Menschen verbringen sehr viel Zeit im Internet. Laut der JIM-Studie aus 2015 sind es bei den 12-19-Jährigen 3, 5 Stunden täglich. Dabei lesen sie nicht nur Webseiten und schauen Videos, sondern sind aktiv im Austausch mit Gleichaltrigen. Welche Angebote Jugendliche im Internet nutzen oder wo die Faszination an Angeboten wie SnapChat, Selfies und Sexting liegt, bleibt Erwachsenen oft verborgen. Eine Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte zum Thema „Sozialraum Internet“ bietet das ServiceBureau Jugendinformation Bremen in Zusammenarbeit mit der Bremischen Landesmedienanstalt an.

 

Das ServiceBureau Jugendinformation ist eine gemeinnützige Einrichtung im Land Bremen mit den Arbeitsschwerpunkten Medienpädagogik und Jugendmedienschutz. Es verfolgt mit seiner Arbeit das Anliegen, Erwachsenen einen Zugang zu jugendlichen Medienwelten zu ermöglichen, Chancen und Risiken aufzuzeigen und Erziehende mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu bringen. Sabine Heimann ist Diplom-Soziologin, Mitarbeiterin im ServiceBureau und hat die Weiterbildung „Sozialraum Internet“ konzipiert und durchgeführt.

 

Frau Heimann, was ist eigentlich der „Sozialraum Internet“?

Es geht darum, dass das Internet nicht einfach nur ein Medium zum Konsumieren von Inhalten ist, sondern auch ein Handlungsraum, in dem wir anderen Menschen begegnen, Beziehungen pflegen und miteinander kommunizieren - ebenso wie in der „stofflichen“ Welt, in der wir uns mit unseren Körpern bewegen.

 

Viele Erwachsene können der digitalen Lebenswelt Jugendlicher nicht folgen. Was bietet das Internet Jugendlichen, an dem wir Erwachsenen nicht oder nur eingeschränkt teilhaben?

 

Jugendliche befinden sich einfach in einer anderen Phase ihres Lebens. Sie haben andere Aufgaben zu bewältigen als Erwachsene und nutzen das Internet nach ihren Bedürfnissen. In der Pubertät geht es darum, selbstständiger und unabhängiger von den Eltern zu werden, und das Internet bietet einen entsprechenden Freiraum. Jugendliche sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, sie müssen sich ein eigenes Wertesystem aufbauen. Beziehungen zu Gleichaltrigen sind dabei sehr wichtig, denn hier finden Aushandlungen statt. Soziale Netzwerke bieten Jugendlichen einen Raum, der bei den Entwicklungsaufgaben unterstützen kann: Hier kann man sich und seine Meinung darstellen, sich Rückmeldungen von anderen einholen, Werte aushandeln, nach Gleichgesinnten suchen, sich orientieren und Selbstwirksamkeit erfahren.

 

Welche Webangebote und Apps sind für Jugendliche derzeit besonders spannend und warum?

 

Da gibt es eine ganze Reihe und die Gründe sind unterschiedlich. Für den kurzen Draht zu Freunden und die zielgerichtete Kommunikation mit Einzelnen oder auch mit festgelegten Gruppen ist WhatsApp ziemlich wichtig. YouTube ermöglicht Jugendlichen, sich zeitunabhängig nach persönlichen Interessen ein eigenes Programm zusammenzustellen. Die Video-Plattform hat mittlerweile eine ganze Reihe von Stars hervorgebracht, die vielen Erwachsenen unbekannt sind. Mit Snapchat oder Instagram kann man sich kreativ austoben, mit Freunden vernetzen oder sich auch je nach persönlichen Interessen informieren lassen. Im Augenblick sieht man im Straßenbild außerdem viele junge Menschen, die ihren Blick auf ihr Smartphone richten - sie spielen Pokémon Go.

 

Bei welchen Formaten sehen Sie Gefahren, welche Formate sind interessant für Meinungsaustausch und Interaktion und welche fördern womöglich das Engagement, die Selbstbestimmung und Teilhabe von Jugendlichen?

 

Das hängt weniger von den Formaten ab, sondern vielmehr von der Frage, wie kompetent und verantwortungsbewusst die Nutzung erfolgt. Prinzipiell erlaubt jedes Soziale Netzwerk Interaktion und Meinungsaustausch zwischen den Teilnehmenden, bietet also auch Potenzial für Engagement und Teilhabe. Zudem findet man im Netz zu nahezu jedem Thema Informationen, beste Voraussetzungen also für das selbstständige Aneignen von Wissen, das dann wiederum zur Ausbildung einer eigenständigen Meinung beitragen kann.

 

Sie führen Weiterbildungen zum „Sozialraum Internet“ mit Fachkräften der Jugendarbeit durch. Welche Gründe haben die Fachkräfte, am Kurs teilzunehmen?

 

Fachkräfte nehmen an unseren Kursen teil, weil sie mehr über die Lebenswelt der Jugendlichen erfahren möchten. Das Interesse richtet sich dabei weniger auf das Kennenlernen einzelner Dienste oder Formate - es geht vielmehr um das Verstehen der Beweggründe und Bedürfnisse der Jugendlichen beim Aufwachsen in der „digitalen Welt“.

 

Teilnehmer auf der Abschlussveranstaltung eines Kurses

 

Wie bringen Sie den Seminarteilnehmenden das Thema näher? Welche Methoden nutzen Sie, wie war bisher die Resonanz auf das Seminar?

 

Unser Kurs ist ein sogenanntes „Blended-Learning“-Format und besteht aus mehreren Modulen, die jeweils zu verschiedenen Themen Texte, Filme und/oder Aufgaben beinhalten. Die Teilnehmenden bearbeiten diese selbstständig und zeitunabhängig online und reflektieren diese anschließend gemeinsam in der Präsenzphase im Kurs. Die Resonanz ist dabei positiv, die Teilnehmenden melden zurück, dass die Methode aufgrund der freien Zeiteinteilung ein sehr intensives Eintauchen in das Thema erlaubt.

 

Was raten Sie Erwachsenen insbesondere im Umgang mit Jugendlichen und deren Medienkonsum?

 

Zunächst einmal sollten Erwachsene Sensibilität für die besondere Lebensphase der Jugendlichen und deren Herausforderungen entwickeln. Teenager „daddeln“ nicht einfach an digitalen Geräten, sondern nutzen diese unter anderem als ein Werkzeug für ihre Identitätsfindung. Wenn man sich dafür interessiert, was Jugendliche eigentlich am Smartphone oder Tablet machen, fragt man sie am besten mit Offenheit und Neugier persönlich, denn sie selbst sind die Expertinnen und Experten.

 

Wann findet das nächste Seminar statt und wie kann man sich anmelden?

 

Der nächste Kurs findet ab dem 26. Januar 2017 im Auftrag von klicksafe, der EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz, statt. Weitere Informationen zu Kurs und Anmeldung finden Sie auf www.klicksafe.de. Im Gegensatz zu den Kursen, die wir in Kooperation mit der Bremischen Landesmedienanstalt anbieten, wird dies aber ein reiner E-Learning- und kein Blended-Learning-Kurs sein. Das heißt, es wird keine Präsenzveranstaltungen geben.


Interview mit Sabine Heimann, Diplom-Soziologin und Mitarbeiterin im ServiceBureau Jugendinformation