• Praxisbeispiel

Kultur trifft Digital: Ein Blick hinter die Kulissen von „Ready Player One“

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Wer bei Apps, Konsolen- und Computerspielen nur an das stundenlange „Zocken“ völlig abwesender Kinder und Jugendlicher denkt, liegt falsch. Digitale Spiele sind viel mehr: Sie sind Erfahrungs- und Erlebnisräume, die dazu einladen, neue Dinge auszuprobieren und eigene, kreative Ideen umzusetzen. Es braucht dafür lediglich einen passenden Raum, in dem die Teilnehmer:innen sich mit dem Thema „Gaming“ auseinandersetzen können.

Das Projekt „Kultur trifft Digital“, welches in der Stiftung Digitale Chancen angesiedelt ist, möchte als Teil seines Gesamtangebots solche Erfahrungsräume für sozial- und bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Die Teilnehmer:innen kommen hierbei aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus und sprechen unterschiedliche Sprachen. Im Rahmen zwei- bis fünftägiger Workshops können die Teilnehmer:innen analoge und digitale Spiele testen und eigene Spielideen entwickeln. Sie blicken hinter die Kulissen ihrer Lieblingsspiele und erfahren, wie solche Spiele aufgebaut und schrittweise entwickelt werden, welche Dinge zu beachten sind und weshalb Spiele Regeln brauchen.

Dabei steht das aktive Ausprobieren stets im Mittelpunkt und die Jugendlichen bekommen vielfältige Angebote, um Spiele auf unterschiedliche Arten miteinander zu erleben und eigenständig zu gestalten.

Vorbereitung von Material und Technik: “Vor dem Spiel ist nach dem Spiel“

Unser medienpädagogischer Medienworkshop startet bereits einige Wochen vor dem offiziellen Beginn. Gemeinsam mit dem Team in Berlin und den Kooperationspartner:innen vor Ort planen wir die benötigten elektronischen Geräte und Materialien sowie Apps und Programme, welche die Kolleg:innen in Berlin vorab auf die Geräte spielen. Anschließend werden diese Dinge an die Kooperationspartner:innen versendet und warten dort auf uns Referierende. Zusätzlich bereite ich, der den Workshop als Medienpädagoge durchführt, sowohl analoge als auch digitale Spiele vor. Dazu gehört auch, dass ich mich mit der Einrichtung, in welcher der Workshop durchgeführt wird, abstimme. Um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, packe ich auch eine „Switch“, eine „PlayStation4“, einen „GameBoy“ und meinen alten Heimcomputer „C64“ ein. Somit arbeitet ein ganzes Team von Fachkräften daran, den Teilnehmer:innen das Thema „Gaming“ nahezubringen. Dabei ist es sinnvoll, das Material vorab zu strukturieren und auszuprobieren. Bei der Auswahl der Apps wählen wir kostenfreie Anwendungen aus, welche Teilnehmer:innen und Kooperationspartner:innen auf ihren persönlichen Geräten nutzen können. Die ausgewählten Apps lassen sich gut mit den bereit gestellten Materialien nutzen, welche im Anschluss in der Einrichtung bleiben sollen.

Durchführung: Game-Time

Unser Workshop ist für fünf Tage á sechs Stunden geplant. Zwölf Kinder und Jugendliche, die von mir und Helfenden vor Ort begleitet werden, nehmen am Workshop teil.

Bevor wir mit den Teilnehmer:innen starten, bereiten wir die Arbeitsplätze und Materialien vor. Dabei bauen wir noch keine technischen Geräte auf, da wir gemeinsam entscheiden werden, wie wir diese Woche gestalten möchten. Wie bei den anderen Workshops beginnen wir mit ein paar kurzen Kennenlernspielen. Anschließend sprechen wir über die Erwartungen der Teilnehmer:innen und beantworten deren Fragen. Wir erklären die unterschiedlichen Materialien und was wir für die Woche geplant haben. Die Kinder und Jugendlichen haben so die Möglichkeit, sich direkt mit den unterschiedlichen Angeboten auseinanderzusetzen und erste Eindrücke zu gewinnen. Dann planen wir die Woche. Dabei ist es uns wichtig, dass sich die Teilnehmer:innen sowohl mit analogen, als auch digitalen Gaming-Aspekten beschäftigen und diese miteinander verbinden.

Analoges und digitales Arbeiten

In unserem Workshop entschieden sich die Teilnehmer:innen für den Bau einer eigenen Virtual Reality (VR)-Brille. Die entsprechenden Vorlagen und eine passende Anleitung haben wir im Internet recherchiert und basteln nun aus alten Kartons, Kleber und zahlreichen anderen Materialien einzigartige VR-Brillen, mit denen wir anschließend auf den Leihgeräten die vorinstallierten VR-Apps testen. Zusätzlich besprechen wir die verschiedenen Aspekte von „Virtual Reality“-Anwendungen und wie sich diese auf das Gehirn auswirken können. Einige Teilnehmer:innen berichten, dass ihnen bei der Nutzung solcher Apps übel oder schwindlig wurde. Diese sogenannte „motion sickness“ kann eine Begleiterscheinung solcher Anwendungen sein. Sie ähnelt der Übelkeit beim Autofahren. Andere Teilnehmer:innen vergleichen sie mit einem unruhigen Flug oder einer wilden Achterbahnfahrt.

Damit also keinem schwindlig wird, bauen wir daher regelmäßige Pausen ein und die Smartphones mit den VR-Apps wandern zwischen den Jugendlichen hin und her. Anschließend bauen wir mit der browserbasierten Anwendung „CoSpaces“ eigene VR-Welten. Indem wir unsere digitalen Welten erstmal auf Papier entwerfen, verbinden wir dabei das analoge mit dem digitalen Arbeiten. Schnell fliegen pinkfarbene Wale durch das All und eine Gruppe Menschen flieht vor einem heranstürmenden T-Rex. Mit den Smartphones und der passenden App bewegen wir uns in unseren eigenen Welten oder können einzelne Elemente in unseren Gruppenraum projizieren.

An den anderen Tagen bauen wir mit dem „MakeyMakey“ unterschiedliche Controller. Der „MakeyMakey“ ist eine Platine, mit deren Hilfe man einfache Gegenstände zu Eingabetasten für den Computer umfunktionieren kann. Einige Controller steuern wir mit den Händen, andere mit den Füßen. Manche bedienen wir alleine, andere funktionieren nur, wenn wir zusammenarbeiten und diese gemeinsam nutzen. Dabei achten wir darauf, dass die Gruppen wechseln und die Teilnehmer:innen mehr und mehr zusammenwachsen. Sprachprobleme lösen wir durch entsprechende Übersetzer-Apps, Gestik und Vormachen. Die Teilnehmer:innen lernen dadurch miteinander zu interagieren und haben die Möglichkeit ihre Sozialkompetenz zu erweitern. Sie begreifen die unterschiedlichen Inhalte und entwickeln eigene Lösungswege. Zudem bauen sie ein Verständnis für die Komplexität eines Spiels auf und für die Arbeit, welche in der dazu benötigten Entwicklung steckt.

An den letzten beiden Tagen erarbeiten wir unser eigenes Spiel. Hier können die Teilnehmer:innen noch einmal alle ihre Eindrücke und Erfahrungen zusammenbringen. Ob das Essen einer halben Banane, das Stehen auf einem Bein, das Steuern eines Roboters durch einen Parcours oder das Spielen einer Runde „SuperMarioKart“ an der Switch: Die Aufgaben, welche die Teilnehmenden im Spiel meistern, sind vielfältig und bestehen aus digitalen und analogen Elementen. Dabei testen und entwickeln wir unser Spiel stetig weiter. Mit einer gemeinsamen Abschlussrunde endet der letzte Tag.

„Time-Out“: Erkenntnisse

“Spiele bleiben Spiele. Sie haben an ihrer Bedeutung nichts verloren.” – ein Pausenzitat.

Dabei ist es bedeutungslos, ob wir über analoge und digitale Spiele sprechen. Spiele bleiben wichtig für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie bieten wichtige Auszeiten vom übrigen Alltag. Gleichzeitig erarbeiten sich die Teilnehmer:innen unseres Workshops nebenbei wichtige Kompetenzen. Indem sie unterschiedliche Dinge ausprobieren und in unterschiedlichen Gruppenzusammenstellungen zusammenarbeiten, setzen sich die Kinder und Jugendlichen aktiv mit ihren Stärken und Schwächen auseinander. Sie spielen mit anderen, lernen zusammenzuarbeiten, gewinnen und verlieren. Durch die Umsetzung eigener Spielideen bekommen die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen ein besseres Verständnis für „gute“ und für „schlechte“ Regeln und lernen, weshalb „Regeln“ manchmal wichtig sind.

Vor allem macht es den Teilnehmer:innen und uns Begleitenden große Freude miteinander zu spielen. Dies ist bei allen Beteiligten deutlich zu spüren, insbesondere nach mehreren Lockdownphasen und Quarantänezeiten. Doch unabhängig davon, ob digital oder analog gespielt wird, beides braucht Begleitung. „Denn auch 'Spielen' will gelernt sein.“ Zumindest sagt das der 14-jährige Lars in unserer abschließenden Feedback-Runde. Ich denke er hat Recht.

Weitere Empfehlungen

  • Beim Projekt Kultur trifft digital“ steht das Erleben und Gestalten kultureller Werke mithilfe digitaler Medien im Vordergrund und richtet sich an sozial- und bildungsbenachteiligte junge Menschen.
  • Eigene VR-Welten lassen sich mit der Anwendung Cospacesedu nachbauen.
  • Auf der Webseite von Epic Stuff gibt es Anleitungen zum Selbstbauen von VR-Brillen.

Ruben Kühner, Mediencoach und Referent bei „Kultur trifft Digital“