• Interview

Wie innovatives Theater einen bewussten Umgang mit Medien fördern kann

Zwei Menschen, die beide auf einen Laptop schauen, der auf einem Tisch steht.

Wer bin ich? Wie wirke ich auf andere? Wer möchte ich sein? In der Phase der Entwicklung des eigenen Ichs sind diese Fragen von zentraler Bedeutung für Heranwachsende. Gerade Soziale Medien nutzen junge Menschen, probieren sich dort aus, testen ihre Grenzen und schauen, wie sie auf andere wirken. Insbesondere die Anerkennung und die Bestätigung innerhalb der eigenen Peer-Group (Englisch „peer“ = Gleichaltrige:r) sind für viele Jugendliche wichtig. Doch neben Erfahrungen, die das eigene Selbstbewusstsein stärken, können sie auch mit Herausforderungen wie zum Beispiel Beleidigungen, Hassrede und Belästigung konfrontiert werden. Dann ist es wichtig zu wissen, wie man damit umgehen und darauf reagieren kann. Einen innovativen Ansatz verfolgt das interaktive Theaterstück „Total vernetzt – und alles klar?!“, welches Kinder und Jugendliche bei einem reflektierten und selbstwirksamen Umgang mit digitalen Medien unterstützen und für Online-Herausforderungen sensibilisieren möchte. Über das Theaterstück, das zugleich ein Lokales Netzwerk bei „Gutes Aufwachsen mit Medien“ ist, sprachen wir mit der Theaterpädagogin Sandra Hehrlein.

Digitale Medien im Theater zum Thema machen

Das Theaterstück „Total vernetzt – und alles klar?!“, welches sich an Schüler:innen der Klassen 5 und 6 richtet und in Schulen gespielt wird, erzählt die Geschichte von Lisa und Henrik, zwei Teenager:innen, die aus ihrem Alltag erzählen. Lisa mag es, Beiträge auf Instagram zu teilen und sich dort mit anderen auszutauschen. Henrik schaut gerne Videos auf YouTube an und zockt am PC. Eines Tages veröffentlicht Henrik ein Bild von sich auf Instagram, auf dem er betrunken zu sehen ist. Zunächst findet er es gut, dass er von vielen seiner Mitschüler:innen darauf angesprochen wird und viele sein Bild mit einem Like versehen. Doch dann ändert sich die Situation, als Beleidigungen und Hasskommentare auftauchen. Lisa ist damit beschäftigt, mit einem Unbekannten zu schreiben, der ihr Bild auf Instagram toll findet und sie treffen möchte.

„Ziel unseres Stückes ist es, zur kritischen Reflexion des eigenen Medienhandelns junger Menschen anzuregen und einen wertschätzenden, respektvollen Umgang mit digitalen Medien und in digitalen Räumen zu vermitteln“, betont Sandra Hehrlein. „Dies versuchen wir, indem wir an die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen anknüpfen und sie so auch auf emotionaler Ebene abholen. Von Bildrechten, Netiquette, Datenschutz, über Sexting, Cybergrooming, Cybermobbing, bis zu Falschnachrichten und Hassrede haben wir zudem ein breites Themenrepertoire, welches wir aufgreifen.“

Selbst aktiv sein können Schüler:innen in interaktiven Elementen während des Theaterstückes. Dann wechseln die Schauspielenden in bestimmten Szenen in die Rolle von Moderator:innen und sprechen mit den Teilnehmenden über das Gesehene und Gehörte, tauschen sich aus und reflektieren gemeinsam. „Wie seht ihr das? Was würdet ihr Henrik und Lisa raten, wie können sie sich am besten verhalten? Mit diesen Fragen können wir wunderbar mit den Schüler:innen ins Gespräch kommen, erfahren, was sie an Wissen und Erfahrungen mitbringen und auch selbst aufklären, zum Beispiel zu der Frage, ob ich einfach ungefragt Bilder anderer in Sozialen Medien veröffentlichen und weiterleiten darf“, sagt Sandra Hehrlein.

Wie die Idee zum Theaterstück entstanden ist

„Die Idee zum Theaterstück ist durch ein anderes Stück zum Thema Liebe, Partnerschaft und Sexualität entstanden, welches wir an Schulen gespielt haben. Von vielen Schulen bekamen wir die Rückmeldung, dass durch unser Stück ein wunderbarer Zugang geschaffen werden kann, um vertiefter über verschiedene Themen mit Schüler:innen zu sprechen. Und da 2006/2007 verstärkt das Thema Handynutzung an Schulen aufkam, überlegten wir, ob sich das nicht kreativ in einem Theaterstück aufgreifen lässt. In Zusammenarbeit mit der Polizei Baden-Württemberg, die auch im Bereich der Präventionsarbeit im Bereich Medienbildung tätig ist und vor allem Wissen und Erfahrung zu rechtlichen Rahmenbedingungen mitbringt, haben mein Kollege Jörg Pollinger und ich dann 'Total vernetzt – und alles klar?!' entwickelt.“ Premiere des Stückes war 2009. Seitdem haben sich die Themen des Stückes kontinuierlich im Zuge der Digitalisierung weiterentwickelt. Nicht verändert hat sich hingegen die Intention des Stückes: Kinder und Jugendliche für eine bewusste und kompetente Mediennutzung zu sensibilisieren.

„Wichtig für uns ist zudem die Kooperation mit Lehrkräften und Schulsozialarbeitenden. Nach der Aufführung des Theaterstückes geben wir auch immer Material mit in die Schulklassen, sodass dann vertieft über Themen, die gerade in der Klasse akut sind, gesprochen werden kann“, schildert Sandra Hehrlein.

Ein achtsamer und reflektierter Umgang mit Medien

Grundvoraussetzung für eine selbstbestimmte und achtsame Mediennutzung sieht Sandra Hehrlein darin, sich zu allererst zu vergegenwärtigen, dass digitale Medien heutzutage Teil unseres Alltags sind. „Viele unserer Handlungen – zum Beispiel der Griff zum Smartphone, während wir irgendwo warten – laufen automatisch ab. Daher geht es vor allem darum, bewusster zu schauen, wie ich selbst digitale Medien nutze und wie viel Zeit ich mit ihnen verbringe.“ Zudem gehört ein soziales Miteinander und ein wertschätzender Umgang für Sandra Hehrlein zu einer bewussten Mediennutzung dazu: „Wie verhalte ich mich beispielsweise auf Sozialen Plattformen? Verhalte ich mich respektvoll gegenüber anderen oder nutze ich die Plattformen, um über andere herzuziehen?“ Auch hier ist es entsprechend wichtig, die eigenen Handlungs- und Verhaltensweisen zu reflektieren und sich bewusst zu machen, welche möglichen Auswirkungen veröffentlichte Beiträge in Sozialen Netzwerken haben können.

„Eine positive Entwicklung, die wir in unserer Arbeit wahrnehmen ist, dass es inzwischen mehr Aufklärungsangebote im Bereich der Medienbildung gibt, als noch vor ein paar Jahren. Insbesondere der Peer-to-Peer-Ansatz, bei dem junge Menschen von Gleichaltrigen lernen, ist aus meiner Sicht eine tolle Methode, um Schüler:innen in ihrer Lebenswelt abzuholen und sie für einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien und Themen zu sensibilisieren“, schildert Sandra Hehrlein.

Elternarbeit durch Theaterpädagogik

Das Theaterstück „Total vernetzt“ wird auch im Rahmen von Elternabenden in Schulen aufgeführt, um mit Eltern über digitale Themen ins Gespräch zu kommen. „Wir stellen hier oft fest, dass es einige Eltern gibt, die gar nicht genau wissen, was ihre Kinder an und mit digitalen Geräten eigentlich machen und welche Faszination dahintersteckt. Oder das in Momenten der Hilflosigkeit dann zum Beispiel einfach der Stecker gezogen wird, damit ein Kind nicht mehr online sein kann“, schildert Sandra Hehrlein. „Dann weisen wir darauf hin, wie wichtig ein neugieriger Austausch und ein offenes Gespräch zwischen Eltern und Kindern in puncto Umgang mit Medien ist, um einerseits zu erfahren, warum Kinder etwas gerne machen, zum Beispiel ein digitales Spiel besonders spannend finden und andererseits gemeinsam Regeln für die Mediennutzung aufzustellen.“

Zudem ist es hilfreich, ein Spiel oder eine Plattform als Eltern und Erziehende auch mal selbst auszuprobieren oder gemeinsam zu spielen und zu erkunden, um die Faszination besser zu verstehen. „Voraussetzung für all das ist es, Kinder und Jugendliche als Expert:innen ihrer Lebenswelt wahrzunehmen und anzuerkennen“, sagt Sandra Hehrlein.

Mehr Informationen:

  • Wie pädagogische Fachkräfte und Erziehende mit Kindern und Jugendlichen über einen bewussten Umgang mit Sozialen Medien sprechen können, zeigt die Methode „Social Media und mentale Gesundheit“ aus dem ACT-ON!-Projekt des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
  • Wie die Mediennutzung Jugendlicher im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren aussieht, zeigt die aktuelle JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest in Kooperation mit dem Südwestrundfunk.
  • Die kreative und innovative Auseinandersetzung mit digitalen Medien steht beim mb21 Deutscher Multimediapreis und beim Dieter Baacke Preis im Vordergrund.