• Interview

Zocken, testen, Spaß haben: Wie Gaming inklusiv sein kann

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Digitale Spiele sind bei Kindern, Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen beliebt: Sie tauchen in aufregende Welten ein, schlüpfen in virtuelle Rollen, können sich mit anderen Spielenden gemeinsam Strategien entwickeln und zusammen Fähigkeiten ausbauen und sich untereinander austauschen. Doch nicht immer sind Spiele so gestaltet, dass auch Menschen mit Einschränkungen sie spielen können. Das Projekt „Gaming ohne Grenzen“ der Fachstelle Jugendmedienkultur NRW, welches eng mit dem Spieleratgeber NRW zusammenarbeitet, zeigt wie Inklusion beim Gaming gelingen kann. Über das Projekt sprachen wir mit Saskia Moes und Julius Ricken, die beide im Projekt tätig sind.

Was ist das Projekt „Gaming ohne Grenzen“?

„Gaming ohne Grenzen“ richtet sich an Jugendliche mit und ohne Behinderung im Alter zwischen zwölf und 27 Jahren. Der Schwerpunkt des Projektes liegt auf der Durchführung von wöchentlich stattfindenden inklusiven Spieletest-Gruppen. In diesen Gruppen spielen bzw. testen die Jugendlichen digitale Spiele und bewerten diese insbesondere im Hinblick auf die Barrierefreiheit. Gemeinsam mit erfahrenen Medienpädagog:innen entwickeln die Jugendlichen Möglichkeiten und Wege der Überwindung von Barrieren und schaffen dadurch ein Spielerlebnis, an dem alle gleichermaßen teilhaben können. Die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen der Jugendlichen aus den Spieletest-Gruppen werden auf einer barrierefreien Website veröffentlicht, die in dieser Form in Deutschland einzigartig ist: www.gaming-ohne-grenzen.de.

Was sind die Ziele des Projektes?

Das Projekt soll über das gemeinsame Interesse an digitalen Spielen einen Treffpunkt für Jugendliche mit und ohne Behinderung schaffen, der gleichzeitig medienpädagogisch und methodisch begleitet wird. Dadurch eröffnen sich für die Jugendlichen neue Erfahrungsräume, in denen sie die inklusive Gemeinschaft schätzen lernen und im Austausch miteinander erfahren, wo Barrieren beim Spielen bestehen und wie sich diese beispielsweise durch assistive Technologien überwinden lassen. Gleichzeitig entdecken die Jugendlichen neue kreative mediale Ausdrucksformen. Im Laufe des Projektes gilt es außerdem, gemeinsam mit allen Beteiligten nachhaltige Strukturen zu schaffen und einen Pool an Methoden und Möglichkeiten rund um barrierefreies digitales Spielen zu entwickeln.
Die medienpädagogische Arbeit mit der Zielgruppe ist Kernstück des Projekts. Ergänzend möchten wir die Gesellschaft zu den Themen „Inklusion und Gaming“ sowie „Barrieren in digitalen Spielen“ sensibilisieren. Daher ist es uns wichtig, die inklusiven Leitgedanken des Projekts auch nach außen zu vertreten. Zu diesem Zweck sind wir Teil des nimm! - netzwerk inklusion mit medien, welches auch ein Lokales Netzwerk bei „Gutes Aufwachsen mit Medien“ist und im ständigen Austausch mit unseren Botschafter:innen Dennis Winkens und Melanie Eilert, die uns mit ihrer Expertise unterstützen. Zudem hatten die Jugendlichen des Projekts bereits die Möglichkeit im Rahmen des Projektes und der gleichnamigenBroschüre „Digitale Spiele pädagogisch beurteilt“, Games zu testen und ihre Erfahrungen zu teilen.

Warum sind digitale Spiele gerade in der Jugendkultur ein wichtiger Bestandteil? Was ist so faszinierend am Gaming?

Digitale Spiele sind als anerkanntes Kulturgut aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken und ein Großteil der Heranwachsenden nutzen diese täglich oder zumindest mehrmals die Woche. Gerade während der Pandemie hat die Gaming-Industrie einen großen Aufschwung erhalten, da digitale Online-Spiele für Kinder und Jugendliche zu einer wichtigen Kontaktmöglichkeit wurden. Die Faszinationsmechanismen dieses interaktiven Mediums sind weitreichend: Digitale Spiele erlauben das Abtauchen in fantasievolle Welten, das Entdecken von unbekannten Orten und ermöglichen einen Perspektivwechsel, der vor allem für Kinder und Jugendliche wichtig sein kann - und natürlich machen sie jede Menge Spaß. Das sind wohl nur einige der Gründe, warum die neuesten Spiele und Konsolen bei Kindern und Jugendlichen als Statussymbol innerhalb der Peer-Group gelten.

Identifikationsfiguren spielen für heranwachsende Gamer:innen eine wichtige Rolle. Leider gibt es nur wenige Charaktere mit Behinderung in digitalen Spielen - ihre Behinderung ist dann oftmals im Mittelpunkt der Handlung, wird als Last dargestellt oder im Spielverlauf versucht zu heilen - was nur ein einseitiges und negatives Bild repräsentiert. Nichtsdestotrotz bieten digitale Spiele viele Chancen für Kinder und Jugendliche, die durch eine pädagogische Rahmung sinnvoll eingesetzt werden können. Durch das gemeinsame Interesse an Games können Menschen mit und ohne Behinderung zusammengebracht und somit eine inklusive Gemeinschaft gefördert werden. 

Inwiefern kann Gaming gestaltet werden, damit alle Menschen teilhaben können?

Eine kulturelle Teilhabe umfasst die Zugänglichkeit an allen Bereichen der Gesellschaft - so auch am Gaming. Umso wichtiger ist es, dass digitale Spiele möglichst zugänglich sind. Aber natürlich gehören Barrieren auch zu diesem Medium dazu, denn die meisten Games stellen bestimmte Anforderungen an die Spielenden und bestimmte Aufgaben müssen alleine oder gemeinsam absolviert werden. Genauso vielfältig wie Behinderungen sind auch die Bedürfnisse der Gamer:innen. Umso wichtiger ist es, dass digitale Spiele Einstellungsmöglichkeiten bieten, die das Individualisieren der Spielerlebnisse ermöglichen. Mittlerweile gibt es auch immer mehr assistive Technologien, die vor allem Menschen mit einer motorischen Einschränkung unterstützen und alternative Eingabemöglichkeiten bieten.
Eine bedachte Spielauswahl ist somit gerade für den Einsatz von digitalen Spielen im außerschulischen oder schulischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen essentiell, um allen eine Teilhabe zu ermöglichen. Gerade für Kinder und Jugendliche mit Behinderung können Games Erfahrungsräume schaffen, die ihnen aufgrund einer Einschränkung und dadurch aufkommende Barrieren in anderen Erfahrungsräumen nicht oder schwer möglich wären. Durch eine passende Spielauswahl kann ein barrierefreier Raum geschaffen werden, in denen die Kinder und Jugendlichen Probehandlungen ausüben können und vor allem gemeinsam Spaß haben.

Welche Hürden gibt es aktuell für Menschen mit Einschränkungen im Hinblick auf ihre Teilhabemöglichkeiten im Gaming und wie können diese abgebaut werden?

Die Barrieren, auf die Menschen mit Behinderungen in digitalen Spielen stoßen können sind vielfältig, so vielfältig wie die Menschen selbst. Zwar hat sich in den letzten Jahren viel getan in der Gaming-Industrie, doch nach wie vor sind Hürden vorhanden und zwar in so großer Zahl, dass es hier den Rahmen sprengen würde sie alle aufzulisten. Für die Übersichtlichkeit hat„Gaming ohne Grenzen“ die Barrieren in die Bereiche Sehen, Hören, Steuern und Verstehen eingeteilt. Dabei orientiert sich das Projekt an den englischsprachigen Initiativen, wie die Game accessibility guidelines. Die Barrieren reichen von unleserlichen Untertiteln, über fehlende Tutorials bis hin zu Rätseln in denen Farben unterschieden werden müssen oder Steuerungen, die sich nicht anpassen lassen.
Es gibt aber auch immer mehr positive Beispiele und Spielestudios glänzen mit sinnvollen und innovativen Einstellungsmöglichkeiten. Denn die Lösung für den Abbau von Hürden liegt eigentlich auf der Hand: Gamer:innen mit Behinderung müssen bei der Entwicklung involviert sein! Entweder als externe Expert:innen und Tester:innen oder noch besser direkt als Teil eines inklusiven und diversen Entwicklerteams.

Wie sehen die regelmäßig stattfindenden inklusiven Spieletest-Gruppen aus? Was wird dort gemacht?

Die Spieletest-Gruppen sollen Jugendlichen mit und ohne Behinderung einen sicheren Raum geben um zusammen zu kommen, sich auszutauschen und natürlich ein ganz besonderes Hobby miteinander zu teilen: Gaming. Gemeinsam wird überlegt, welches Spiel als nächstes getestet wird. Dabei sind zum einen die Wünsche der Jugendlichen im Fokus, zum anderen wird immer eine möglichst aktuelle Spielauswahl mitgebracht. Dabei handelt es sich größtenteils um lokale Multiplayer-Spiele, denn gemeinsames Spielen macht am meisten Spaß! Wenn sich die Jugendgruppen für ein Spiel entschieden haben, wird als nächstes herausgefunden, ob es für einen ausführlichen Test in Frage kommt und dafür muss es natürlich erstmal gespielt werden. Wenn das Spiel gefällt, wird es in den folgenden Wochen immer wieder gespielt und dabei unter die Lupe genommen. Dafür arbeiten „Gaming ohne Grenzen“ zum einen mit simulierten Barrieren: Das geht vom Ausschalten des Sounds bis hin zu Brillen, die eine Seheinschränkung simulieren. Zum anderen werden niedrigschwellige Fragebögen genutzt, die eine Orientierung für die Jugendlichen bieten und mittels derer die einzelnen Kriterien für Barrierefreiheit geprüft werden können. Aber am wichtigsten ist natürlich die Einschätzung der Jugendlichen selbst. Schließlich sind sie die Expert:innen für ihre Lebenswelt und können am besten darüber urteilen, ob das Game spielbar ist oder nicht.
Das Angebot findet in der außerschulischen Jugendarbeit statt, dadurch sind die Gruppen geprägt von Freiwilligkeit und einer gewissen Fluktuation. Alle können mitmachen, niemand muss bis zum Ende bleiben. Trotzdem haben sich in den letzten Jahren Gruppen aufbauen können, die sehr verlässlich dabei sind, sich mit dem Projekt identifizieren und mittlerweile schon sehr geübte Spieletester:innen sind!

Weitere Informationen:

Bettina Goerdeler