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Es ist kompliziert: Jugendmedienschutz in Deutschland

Eine Lehrerin mit Schülern am Laptop

Sein Ziel hat der Jugendmedienschutz klar vor Augen: Kinder und Jugendlichen ein gutes Aufwachsen mit Medien ermöglichen. Risiken und Gefahren im Medienumgang sollen von ihnen ferngehalten werden. Gesetze dafür zu schaffen, ist aber alles andere als einfach.

Wer regelt was im deutschen Jugendmedienschutz?

Ein neues Computerspiel, nennen wir es „Grand Theft Bicycle“, kommt auf den Markt. Ist es für Kinder und Jugendliche geeignet oder gefährdet es ihre Entwicklung? In Deutschland machen zwei Gesetze Vorgaben für den Jugendmedienschutz: Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) des Bundes und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder. Beide verfolgen das Ziel, ein ungewolltes Zusammentreffen von Kindern mit für sie ungeeigneten Medieninhalten zu verhindern. Die Gesetze nutzen aber unterschiedliche Ansätze und werden von verschiedenen Einrichtungen umgesetzt.

Wer im Geschäft einen DVD-Film oder ein Videospiel kauft, kennt sicherlich die Alterskennzeichen auf den Verpackungen: „Ab 16 freigegeben“ oder „Ab 18“. Diese Altersfreigaben stammen bei Filmen von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und bei Computerspielen von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) . Dort bewerten unabhängige Expertinnen und Experten die Medieninhalte. Sie schauen sich „Grand Theft Bicycle“ an: Enthält es zum Beispiel Gewalt- oder Erotikdarstellungen?

Letztendlich entscheiden sie, dass „Grand Theft Bicycle“ Kinder und Jugendliche negativ in ihrer Entwicklung beeinträchtigen kann und deswegen ab 18 freigegeben ist. Ein Vertreter der Länder übernimmt regelmäßig diese Empfehlung und erteilt dem Anbieter die Altersfreigabe. Der Anbieter druckt das Alterskennzeichen auf die Verpackungen. Die Angestellten im Einzelhandel müssen nun darauf achten, dass die Käuferinnen und Käufer von „Grand Theft Bicycle“ alt genug sind. Filme und Spiele, die nicht von FSK oder USK gesichtet wurden und keine Alterskennzeichnung haben, dürfen nur an Erwachsene verkauft werden. Es wäre auch möglich, dass „Grand Theft Bicycle“ jugendgefährdend ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn verrohende Gewaltdarstellungen oder Verherrlichung von NS-Ideologie enthalten sind. Dann setzt es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den Index - das ist eine Art schwarze Liste. „Grand Theft Bicycle“ dürfte dann nicht mehr öffentlich ausgestellt oder beworben werden.

Und wie sieht aktuell der Jugendmedienschutz im Internet aus?

Damit man auch von unterwegs spielen kann, gibt es eine mobile Version von „Grand Theft Bicycle“ jetzt als Spiele-App für das Smartphone, mit anderer Grafik und einem einfacheren Spielprinzip. Bei solchen Online-Angeboten gilt der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Hier entscheiden die Anbieter jedoch selbst oder mithilfe von anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen (FSF, FSM,

USK.online, FSK.online), für welche Altersgruppe das Angebot geeignet ist. Der Anbieter von „Grand Theft Bicycle“ entscheidet, dass Jugendliche ab 16 Jahren die App nutzen können. Da es nur für Ältere geeignet ist, muss der Anbieter Zugangshürden vorsehen. Er wählt die Altersüberprüfung. Bevor ich die App „Grand Theft Bicycle“ installiere, muss ich also eine Altersüberprüfung durchlaufen. Er könnte auch die App mit einem elektronischen Alterskennzeichen versehen. Wenn Eltern Filterprogramme oder spezielle Jugendschutzprogramme (z.B. JusProg) auf den PCs, Konsolen, Smartphones oder Tablets installiert haben, erkennen diese die Alterskennzeichnung. Die Software blockiert dann altersunangemessene Inhalte. Über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wacht die Kommission für Jugendmedienschutz ( KJM) als zentrales Organ der Landesmedienanstalten.

 

 

Welche Herausforderung gibt es im Online-Bereich?

Instant Messenger wie WhatsApp, Multimediaplattformen mit nutzergenerierten Inhalten wie YouTube, TikTok oder Instagram und Soziale Netzwerke wie Facebook haben den Jugendmedienschutz an seine Grenzen gebracht. Das liegt vor Allem an den neuen Gefährdungen für Kinder und Jugendliche. Sie nutzen Plattformen, auf denen sie sich austauschen und Inhalte wie zum Beispiel Bilder und Videos hochladen und teilen. Durch diesen teilweise nichtöffentlichen digitalen Austausch mit Bekannten sowie mit Unbekannten entstehen neue Risiken. So können Kinder etwa Opfer von Cybermobbing im Klassenchat oder sexuell belästigt werden.

Die Anbieter der Plattformen geraten so in den Fokus von Politik und Gesetzgebung. Sie haben die Möglichkeit, betroffenen Kindern und Eltern direkt Unterstützungsangebote wie z.B. Block- oder Meldebuttons zu machen. Viele für Kinder schädliche Inhalte könnten auch schneller erkannt werden, wenn sich die Betreiber aktiv auf die Suche nach ihnen machten. Rechtlich haften Plattformanbieter aber dann für jugendgefährdende Inhalte, wenn sie Kenntnis davon haben. Aus Sicht des Jugendmedienschutzes ist dieses sogenannte Haftungsprivileg schwierig, denn eine automatische Überwachung würde den Plattformanbieter frühzeitig haften lassen. Ein Risiko, dem die Anbieter nachvollziehbar aus dem Weg gehen.

Was ist die Rolle der Eltern?

Es zeigt sich: Jugendmedienschutz ist kompliziert. Für die vielen neuen Sachverhalte bei der Nutzung neuer Angebotsformen drängen sich keine einfachen Lösungen auf. Außerdem treffen unterschiedliche Gesetze und politische Zuständigkeiten im Jugendmedienschutz aufeinander. Eine wichtige Stelle für die Umsetzung eines zeitgemäßen Jugendmedienschutzes bleiben so die Erziehenden. Zur Medienerziehung gehört eine vertrauensvolle Begleitung statt heimlicher Kontrolle. Zudem sollten die Erziehenden offen gegenüber der kindlichen Mediennutzung sein. Die Kinderschutzfunktionen auf den von den Heranwachsenden genutzten Endgeräten wie dem Smartphone sollten genutzt werden - selbst wenn dies zum automatischen Ausschluss, beispielsweise der vom Kind gewünschten App, führt. Ein Gespräch mit der Bitte um Freischaltung stärkt die Eltern-Kind-Beziehung und kann Gesprächsanlass dafür sein, warum bestimmte Inhalte aus Sicht der Kinder interessant und aus Sicht der Erwachsenen problematisch sind.

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Quelle: Dr. Stephan Dreyer ist Senior Researcher für Medienrecht und Media Governance am Leibniz Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI).