DemokratiebildungPartizipation

Zwischen Memes und Mitreden: Meinungsbildung in Sozialen Medien

Eine Person, die auf dem Sofa liegt und auf ihr Smartphone schaut.

Wie sehr Soziale Medien von jungen Menschen als Bezugsquelle herangezogen werden, um sich über das politische Weltgeschehen zu informieren, zeigt die aktuelle Studie How to sell democracy online (fast) vom Progressiven Zentrum in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung. 74 Prozent der befragten jungen Menschen gaben an, mit politischen Themen online in Kontakt zu kommen. Besonders relevante Plattformen stellen TikTok und Instagram dar. 

Politisch interessiert, aber zurückhaltend

Die Bandbreite an Informationen und Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen auf diesen Plattformen ist groß, sodass Nutzende sich je nach Interessensgebiet informieren, vernetzen und austauschen können. Zudem können Themen der Nutzenden in den öffentlichen Fokus rücken, wie sich zum Beispiel bei der Fridays for Future Bewegung und der #MeToo-Bewegung zeigte. Social-Media-Plattformen bieten Potenzial, sich für Themen zu engagieren, die einem persönlich wichtig sind. Die Studie zeigt: Etwa die Hälfte der befragten jungen Menschen bewertet die niedrigschwelligen Kontakt- und Interaktionsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Fragen stellen oder andere Ansichten hören, positiv. Jedoch beteiligen sich weniger als ein Viertel, wenn es darum geht, Beiträge von Politiker*innen und politischen Influencer*innen zu liken oder zu kommentieren. Nur knapp jede*r Sechste beteiligt sich an einer Online-Diskussion zu politischen Themen. Das kann unter anderem damit zusammenhängen, dass sich laut Studie nur wenig junge Menschen von Politiker*innen wahrgenommen und ernst genommen fühlen. Das Ergebnis ist eine geringe politische Selbstwirksamkeit, wie die Studienautor*innen feststellen. Und das, obwohl die eigenen Kompetenzen, politische Fragen verstehen und einschätzen zu können sowie sich an Gesprächen über politische Fragen aktiv zu beteiligen, von knapp der Hälfte der Befragten als gut eingeschätzt werden. Woran liegt das?

Herausforderungen in der Meinungsbildung

Ein Grund für die mangelnde Beteiligung sieht die Bertelsmann Studie darin, dass junge Menschen sich von politischen Entscheidungsträger*innen bzw. Parteien nicht wahrgenommen und angesprochen fühlen, vor allem bei Themen, die sie selbst betreffen. Darüber hinaus nehmen befragte Jugendliche an, dass sie kaum Einfluss nehmen könnten. Zudem befürchten sie Hassrede und Anfeindungen, wenn sie ihre Meinung äußern, wie die Studie Politische Meinungsbildung Jugendlicher in sozialen Medien des JFF feststellt. Die Studie zeigt auch, dass die Meinungsäußerung Jugendlicher ansteigt, wenn die Räume als überschaubar wahrgenommen werden. 

Der sogenannte News-finds-me-Effekt führt dazu, dass viele Menschen nur wenig Interesse an aktiver Informationssuche zeigen, unausgewogen informiert sind und über wenig tiefgründiges Wissen über Politik und Gesellschaft verfügen. Sie gehen davon aus, auch ohne gezielte Nachrichtennutzung ausreichend informiert zu sein. Statt aktiv nach Informationen zu suchen, verlassen sie sich auf die Inhalte, die ihnen über ihre persönlichen Feeds in sozialen Netzwerken automatisch angezeigt werden. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass diese Inhalte auf der Grundlage von Algorithmen ausgewählt sind. Die Studie des Progressiven Zentrums und der Bertelsmann Stiftung zeigt: Knapp die Hälfte der jungen befragten Menschen schauen sich häufig oder sehr häufig politische Inhalte an, die ihnen über ihren persönlichen Feed ausgespielt werden, ohne dass sie gezielt nach Informationen suchen. 

Medienpädagogische Projekte und Methoden, wie zum Beispiel Isso! vom JFF oder das Planspiel Die FakeHunter von der Büchereizentrale Schleswig-Holstein können junge Menschen dabei unterstützen, eine Informations- und Nachrichtenkompetenz aufzubauen und sich in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Besonders wichtig sind zudem moderierte und geschützte Räume, in denen Jugendliche ihre Meinung äußern können, ohne Angst vor Hass und negativen Reaktionen haben zu müssen. 

Filterblasen geplatzt?

Ein Konzept, welches in der öffentlichen Debatte oft als Argument herangezogen wird, um zu erläutern, warum Menschen sich in bestehenden Meinungen bestärkt fühlen und konträre Perspektiven ausblenden, ist das der Filterblasen. Sie entstünden, weil uns Algorithmen Sozialer Medien nur Inhalte anzeigen würden, die der eigenen Meinung entsprächen und diese somit bestätigen würden. Zahlreiche Studien (vgl. Bruns 2021; Stark et al. 2021; Pörksen 2018) zeigen aber: Diejenigen, die Soziale Medien nutzen, stoßen in der Regel auf eine Vielfalt an Informationen. Die meisten Nutzenden befinden sich also nicht in Filterblasen. Allerdings gibt es in der Forschung Hinweise (vgl. u. a. Chen et al. 2023; Ludwig und Müller 2022), dass politische Ränder sich im Netz eher isolieren und dort nur Inhalte rezipieren, die sie in ihren Ansichten einseitig bestätigen. 

Medienkompetenz ist Demokratiekompetenz

Politische Bildung sollte dort ansetzen, wo junge Menschen sich aufhalten – auf Plattformen wie TikTok oder Instagram – und ihnen niedrigschwellige, dialogorientierte Formate bieten, die politische Selbstwirksamkeit und Beteiligung stärken. Eigene Themen einbringen können junge Menschen z. B. in den Jugendredaktionen Salon5 von Correctiv oder jung genug. Entscheidend ist, dass junge Menschen erleben, dass ihre Perspektiven ernst genommen werden und sie durch aktives Mitgestalten an demokratischen Aushandlungsprozessen teilhaben können. Für die medienpädagogische und bildungspolitische Praxis bedeutet das, Medienkompetenz als zentrale Schlüsselkompetenz zu begreifen und gezielt zu fördern. Daher ist es wichtig, dass pädagogische Fachkräfte junge Menschen so befähigen und begleiten, dass sie sich eine fundierte und reflektierte Meinung bilden können. Dazu gehört insbesondere, zu wissen, wie algorithmische Auswahlprozesse funktionieren und wie sich Quellen und Inhalte kritisch überprüfen lassen, um sie entsprechend einordnen und bewerten zu können. Zugleich muss es für junge Menschen sichere Räume geben, in denen sie ihre Meinung teilen und sich austauschen können.

Mehr Informationen

  • praktische Methoden zur medienpädagogischen Arbeit mit jungen Menschen zu den Themen Desinformation, Hass, Extremismus im Netz sowie zu einem bewussten Umgang mit Sozialen Medien, haben wir in diesem Artikel zusammengestellt.
  • Mehr Hintergrundinformationen gibt auch das Weizenbaum Institut in seiner aktuellen Publikation Meinungsbildung und Soziale Medien.
  • Die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie setzt sich in ihrer Reihe der Abendschule mit dem Begriff der Selbstwirksamkeit auseinander.

Quellen

Bruns, Axel (2021): Echo chambers? Filter bubbles? The misleading metaphors that obscure the real problem , online verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/353806230_Echo_chambers_Filter_bubbles_The_misleading_metaphors_that_obscure_the_real_problem.

Chen, Annie Y. et al. (2023): Subscriptions ans external links help drive resentful users to alternative and extremist YouTube channels, online verfügbar unter: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add8080.

Griese, Hannah et al. (2020): Politische Meinungsbildung Jugendlicher in sozialen Medien, online verfügbar unter: https://www.jff.de/fileadmin/user_upload/jff/veroeffentlichungen/2020/jff_muenchen_2020_veroeffentlichungen_politische_meinungsbildung.pdf?utm_source=chatgpt.com.

Ludwig, Katharina und Philipp Müller (2022): Does social media use promote political mass polarization? A structured literature review, online verfügbar unter: https://madoc.bib.uni-mannheim.de/64725/.

Kümpel, Anna Sophie (2024): Individuelle Meinungbildung und-äußerung auf sozialen Medien, online verfügbar unter https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/soziale-medien/545487/individuelle-meinungsbildung-und-aeusserung-auf-sozialen-medien/.

Pörksen, Bernhard (2018): Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung.

Smith, Tong-Jin (2024): Mythos Filterblase – sind wir wirklich so isoliert?, online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/soziale-medien/545800/mythos-filterblase-sind-wir-wirklich-so-isoliert/#footnote-target-9.

Stark, Birgit et al. (2021): Maßlos überschätzt. Ein Überblick über theoretische Annahmen und empirische Befunde zu Fiterblasen und Echokammern. In: Mark Eisenegger et al. (Hrsg.): Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. 

von Lindern, Jakob (2022): Hintergrund: Wie wirkt sich die Nutzung digitaler Plattformen auf Meinungsbildungsprozesse aus?, online verfügbar unter: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/politische-bildung-in-einer-digitalen-welt/unterrichtsmaterialien/506332/hintergrund-wie-wirkt-sich-die-nutzung-digitaler-plattformen-auf-meinungsbildungsprozesse-aus/.

Weiser, Melanie et al. (2025): How to sell democracy online (fast), online verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/how-to-sell-democracy-online-fast