Medienerziehung

  • Interview

Change your mind: Rechtsaffine Jugendliche im Netz erreichen

Logo von Prisma

Was tun, wenn sich junge Menschen extremen Ideologien zuwenden, wie zum Beispiel dem Rechtsextremismus? Wie können sie erreicht werden? Wie kann es gelingen, einen Distanzierungsprozess anzuregen?

Damit beschäftigt sich das Modellprojekt Prisma – Medienpädagogische Interventionen im Feld der „Neuen Rechten“, ein Projekt, das im sekundären/tertiären Bereich der Extremismusprävention ansetzt. Es richtet sich also an Jugendliche und junge Erwachsene, die bereits mit dem Weltbild der Neuen Rechten sympathisieren oder sich selbst als neurechts bezeichnen. „Dabei möchten wir diejenigen erreichen, die von rechtsextremistischen Akteur*innen umworben werden: Junge Menschen, die bisher gut durchs Leben gekommen sind und die ihre Privilegien infrage gestellt sehen“, sagt Lena Sierts, die im Projekt Prisma als Bildungsreferentin tätig ist. „Voraussetzung für unsere Angebote ist es, dass junge Menschen diese freiwillig annehmen. Haben Menschen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, erfährt unsere Arbeit ihre Grenze.“

Wie Rechtsextremist*innen junge Menschen im Netz ansprechen

Um junge Menschen zu erreichen, nutzen rechtsextreme Akteur*innen insbesondere Soziale Medien. Dort verbreiten sie scheinbar harmlose Inhalte: Die Bilder und Videos sind hip und jugendkulturell inszeniert, die Botschaften geglättet unverdächtig. Die menschenfeindlichen und demokratiefeindlichen Weltbilder dahinter sind so nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. „Durch vermeintliche Angebote der Partizipation geht es rechtsextremen Gruppierungen, wie zum Beispiel der Identitären Bewegung, aber darum, ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit zu verbreiten. Diese drückt sich darin aus, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen aufgrund ihrer Zugehörigkeit, zum Beispiel zu einer Religion, einer sexuellen Orientierung oder aufgrund der Herkunft, abgewertet werden“, erläutert Lena Sierts.

Rechtsextreme Narrative dekonstruieren

Mit Methoden aus Medienpädagogik und politischer Bildungsarbeit versucht das Projekt Prisma rechtsextreme Narrative aufzubrechen und einen Distanzierungsprozess bei rechtsaffinen Jugendlichen anzustoßen. Wichtig dabei ist Lena Sierts, an der Lebensrealität junger Menschen anzudocken: „Wir haben uns im ersten Schritt angeschaut, welche Sozialen Plattformen Heranwachsende häufig nutzen, wo rechtsextreme Akteur*innen ihre Inhalte verbreiten und wie sie damit junge Menschen erreichen wollen. In einem nächsten Schritt haben wir uns dann überlegt, mit welchen Themen und in welcher Form wir einen Reflexions- und Distanzierungsprozess anregen können.“

Prisma produzierte daraufhin Videos zu Themen wie Identität, Zugehörigkeit und Herkunft sowie über historische Orte in Deutschland mit wissenschaftlich belegten Informationen. Lena Sierts erläutert: „Mit den Videos, die wir über unsere Kanäle auf YouTube und Instagram geteilt haben, wollen wir dazu anregen, über die eigenen Einstellungen nachzudenken und sich von rechten Vorstellungen zu distanzieren. Gerade junge Menschen suchen nach Orientierung und Halt, um herauszufinden, wer sie sein möchten und wo ihr Platz in der Gesellschaft ist.“

Durch klare Haltung in den Austausch kommen

Der pädagogische Anspruch im Projekt ist, ein Gesprächsangebot zu schaffen, das zur Selbstreflexion anregt. „Dabei stecken wir von Anfang an einen Rahmen ab; wir signalisieren, dass wir bereit sind für einen offenen Austausch, verdeutlichen aber auch zugleich, dass wir ein Problem mit rechtsextremen Einstellungen haben. Wichtig ist uns zudem zu vermitteln, dass die Welt komplexer ist, als mitunter suggeriert wird und man Widersprüche manchmal aushalten muss“, sagt Lena Sierts.

Eine große Herausforderung sieht die Gesprächspartnerin in der Übertragung von Methoden aus politischer Bildungsarbeit in den digitalen Raum. „Wir haben im Projekt die Erkenntnis gewonnen, dass nicht alles, was in Live-Treffen vor Ort geht, auch in der Interaktion online funktioniert. Vor allem Mimik und Gestik als Mittel der nonverbalen Kommunikation fehlen, wenn der Austausch ausschließlich über einen Chat in einem Sozialen Netzwerk stattfindet. Hier müssen wir weiterhin schauen, welche Wege sich für einen besseren Austausch anbieten.“

Demokratisches Miteinander leben

Mit dem Anstoß zur Reflexion versucht das Projekt Prisma auch junge Menschen darin zu bestärken, eine demokratische Haltung aufzubauen. Besonders wichtig erachtet Lena Sierts dabei den Gedanken des gesellschaftlichen Miteinanders: „Hinter jeder Einstellung steht auch eine Verantwortung, die jede*r nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch gegenüber ihren*seinen Mitmenschen hat. Neben Angeboten politischer Bildung und der Vermittlung von Medienkompetenz sehe ich Empathie und Solidarität als Schlüssel für eine gelingende demokratische Kultur.“

Hands-on für die pädagogische Praxis

Das Projekt Prisma richtet sich auch an pädagogische Fachkräfte und stellt Material für die medienpädagogische Arbeit bereit. Mit der interaktiven und multimedialen Lernanwendung „Wo ist Romi?“ und eine passende Begleitbroschüre mit Hintergrundinformationen zur Neuen Rechten und Praxismethoden können Lehrkräfte und Pädagog*innen der außerschulischen Bildung arbeiten. Erzählt wird die Geschichte von Romi, die ins rechtsextreme Milieu gerät und verschwindet. Nun gilt es herauszufinden, was passiert ist und was das Umfeld, die Freund*innen von Romi, tun können.

Mehr Informationen:

  • Weitere Materialien für die pädagogische Praxis, zum Beispiel zum Thema Geschlecht in der Präventions- und Ausstiegsarbeit, gibt es auf der Website des Projektes Prisma.
  • Das Projekt Der Elefant im Raum vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sensibilisiert für rechtsextreme Botschaften in Sozialen Netzwerken und klärt darüber auf.
  • Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention bündelt Fortbildungs- und Präventionsangebote sowie relevante Publikationen und informiert über aktuelle Entwicklungen sowie Fachtreffen im Themenfeld Rechtsextremismus.