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Neue Studie: „Lauter Hass –leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“

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Die repräsentative Studie des Kompetenznetzwerkes gegen Hass im Netz ist die erste bundesweite Erhebung zur Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz seit dem Jahr 2019. Für die Erhebung wurden innerhalb einer zweiwöchigen Befragungszeit mehr als 3000 Internetnutzer*innen ab 16 Jahren online befragt. Ziel der Studie ist es, ein umfangreiches Verständnis für Dynamiken und Konsequenzen von Hass im Netz zu schaffen und Gegenstrategien aufzuzeigen.

Wahrnehmung von Hass im Netz

89 Prozent der Internetnutzer*innen stimmen der Aussage zu, dass Hass im Netz zugenommen hat. Zudem stuft die Mehrheit der Befragten Beleidigungen jeglicher Art als Hass ein. Fast die Hälfte der Befragten hat angegeben, dass sie selbst einmal Hass im digitalen Raum gesehen haben. Vor allem jüngere Nutzer*innen nehmen Hass öfter wahr als ältere Befragte: Mehr als zwei Drittel der 16- bis 24-Jährigen nehmen Hass im Netz wahr, wohingegen bei den über 65-Jährigen 23 Prozent Hass im digitalen Raum sehen.

Betroffenheit von Hass im Netz

Die Studienergebnisse zeigen, dass 15 Prozent der Befragten einmal selbst von Hass betroffen waren. Hier zeigen sich erneut altersspezifische Differenzen: Jüngere Nutzer*innen sind häufiger betroffen als Ältere. Insbesondere junge Frauen zwischen 16 und 24 Jahren (30 Prozent), Menschen mit Migrationshintergrund (30 Prozent) und Menschen mit homosexueller (28 Prozent) und bisexueller (36 Prozent) Orientierung sind oft mit Hass im Netz konfrontiert. Der Hass, den Betroffene erfahren, bezieht sich am häufigsten auf die politischen Ansichten oder das Aussehen. Am häufigsten wird Hass im Netz in Form von Beleidigungen erlebt: Fast jede zweite Person gab an, bereits im Internet beleidigt worden zu sein. 41 Prozent der Befragten gab an, dass Falschinformationen über sie verbreitet wurden und 29 Prozent der erhielten ungefragt Nacktbilder. Ein Viertel der Befragten wurde mit körperlicher Gewalt und 13 Prozent mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. Besonders betroffen sind junge Frauen: Fast jede zweite Frau erhielt ungefragt ein Nacktfoto, jede fünfte Frau berichtete, sexuell belästigt worden zu sein.

Umgang mit Hass im Netz

46 Prozent der Nutzer*innen gaben an, dass sie die Personen, die Hass verbreiten, blockieren oder stummschalten. Bei persönlichen Hasserfahrungen sind es sogar 82 Prozent. Jede dritte befragte Person hat bereits einen Hassbeitrag bei der Plattform gemeldet. Bei Betroffenen sind es sogar 75 Prozent. Nutzer*innen ohne eigene Erfahrungen betreiben weniger Counterspeech (Englisch = Gegenrede) als Personen, die selbst von Hass im digitalen Raum betroffen sind. Eines der stärksten und gleichzeitig besorgniserregendsten Erkenntnisse ist, dass Nutzer*innen sich nicht mehr an Debatten beteiligen, sich zurückziehen und ihr Profil in Reaktion auf erlebte Hassrede nicht mehr nutzen oder löschen. Dies hat zur Folge, dass Perspektiven von diskriminierten und marginalisierten Gruppen, die besonders häufig von Hass im Netz betroffen sind, im demokratischen Diskurs fehlen.

Folgen von Hass im Netz

Die am meisten genannten Folgen waren der soziale Rückzug (41 Prozent), psychische Beschwerden (35 Prozent) und Probleme mit dem eigenen Selbstbild (35 Prozent). Oft treten die Folgen nicht alleine auf, sondern können sich bedingen und verstärken. Außerdem befürchten mehr als drei Viertel der Nutzer*innen, dass sich der Hass im Netz auf Gewalt im Alltag auswirkt und zunimmt. 82 Prozent der Befragten sehen zudem, dass Hass im digitalen Raum die Vielfalt im Netz gefährdet, weil er Menschen einschüchtert und verdrängt. Wie sehr Vielfalt bedroht wird, zeigt sich daran, dass sich mehr als die Hälfte der Befragten sich seltener im Netz zur eigenen politischen Meinung bekennt, sich seltener an Diskussionen beteiligt und Beiträge bewusst vorsichtiger formuliert.

Handlungsbedarf

88 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Polizei und Justiz besser im Bereich Hass im Netz sensibilisiert werden sollten. 87 Prozent sagen, dass der Staat bestehende Gesetze zur Bekämpfung von Hass auch im Internet konsequenter durchsetzen sollte. Zudem finden 86 Prozent der Befragten, dass Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung für die Inhalte auf ihren Seiten übernehmen müssten. Auch sieht ein Großteil Bedarf an Weiterbildungen für Pädagog*innen im Bereich Hass im Netz (85 Prozent) und der Verankerung des Themas Hass im Netz in den Lehrplänen der Schulen (84 Prozent).  

Forderungen

Die gesamte Erhebung zeigt, dass Hass im Internet die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft systematisch gefährden kann. Das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz fordert daher:

  • einen besseren Schutz und eine bessere Unterstützung von Betroffenen durch ein bundesweites Netzwerk von spezialisierten Beratungsstellen und geschulte sowie sensibilisierte Strafverfolgungsbehörden, die Betroffene ernst nehmen.
  • eine finanzielle Beteiligung von Social-Media-Plattformen an den Kosten für gesellschaftliche Schäden, die sie durch Hass-begünstigende Geschäftsmodelle verstärken.
  • die Stärkung von Medienkompetenz und politischer Bildung durch eine nationale Bildungsoffensive.