• Interview

Männlich sein ist vor allem eins: vielfältig!

Männer, die in der Natur nebeneinander sitzen und von hinten zu sehen sind.

Wann ist ein Mann ein Mann? Durchsetzungsfähig, leistungsstark und dominant soll er sein. Gleichzeitig wird von Männern immer mehr Empathie, Teamfähigkeit und Verständnis erwartet. Gerade in Sozialen Medien werden verschiedene Rollenbilder und Vorstellungen von Männlichkeit vermittelt. Diese unterschiedlichen Botschaften verunsichern und überfordern einige männliche Personen. Sie wissen nicht, welchen Anforderungen sie entsprechen sollen, damit sie als Junge oder Mann anerkannt werden. Insbesondere männliche Heranwachsende setzen sich mit der eigenen Geschlechtsidentität und Rollenbildern auseinander, um herauszufinden, wer sie sein wollen.

Rechtspopulistische und rechtsextreme Akteur*innen sowie Gruppierungen nutzen diese Verunsicherung und unterbreiten Männlichkeitsangebote, die vermeintliche Selbstbestimmung und einen Platz in der Gesellschaft versprechen. 
Was bedeutet Männlichkeit überhaupt? Welche Vorstellungen von Männlichkeit verbreiten rechte Gruppierungen, Parteien und Bewegungen? Wie können Bildung und Pädagogik darauf reagieren? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Fabian Lamp. Er forscht zu Theorien der Sozialen Arbeit und Gender Studies an der FH Kiel und ist einer der Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft für Jungenarbeit in Schleswig-Holstein. 

Was Männlichkeit bedeutet 

Männlichkeit zu definieren, ist gar nicht so einfach. Für einige ist Männlichkeit das, was nach biologischem Geschlecht als männlich definiert wird: Menschen mit Penis und Hoden. „Damit kommen wir aber nicht besonders weit“, sagt Fabian Lamp, „weil wir uns im Normalfall in unserem Alltag keine nackten Körper anschauen, sondern vielmehr nach Aussehen und Verhalten beurteilen, ob eine Person als männlich wahrgenommen wird.“ Er erläutert: „Ob ein Mensch sich einem bestimmten Geschlecht zugehörig fühlt und sich damit identifiziert, wird also vielmehr durch sein Handeln und die Interaktion mit anderen bestimmt und dadurch zum Ausdruck gebracht. Dieses Konzept des doing gender berücksichtigt das Geschlecht als soziales Konstrukt.“ 

Bezogen auf Männlichkeit bedeutet das, bestimmte Anforderungen – wie zum Beispiel Verhaltensformen – zu erfüllen, die mit den Vorstellungen von Männlichkeit verknüpft sind. „Das geht bereits im Kindergarten los. Mit welcher Farbe ‚darf‘ ich malen? Womit kann ich spielen? Kinder erhalten auf ihr Handeln Rückmeldung von anderen, häufig von anderen Kindern, ob ihr Verhalten ‚richtig‘ ist oder ob sie entgegen der Normvorstellung agieren. Männliche Heranwachsende orientieren sich in ihrer Sozialisation häufig daran, wofür sie Lob und gutes Feedback erhalten. Das ist in einer immer noch hetero-normativ geprägten Gesellschaft stereotypes Verhalten, wie beispielsweise mutig, stark, sportlich und dominant zu sein. Werden Jungs also immer wieder gelobt, wenn sie besonders laut für ihre Meinung eintreten, fühlen sie sich in ihrem Handeln bestätigt und wiederholen dieses“, so Fabian Lamp weiter.

Dabei sticht eine Eigenschaft, die in Verbindung mit Männlichkeit gebracht wird, besonders hervor: die des Dominanzgebarens. „Es gibt viele Männer, unabhängig davon, wo sie wertebezogen stehen, die dominantes Verhalten als bedeutenden Teil von Männlichkeit betrachten und sich daran orientieren. Dazu zählen zum Beispiel dominantes Verhalten im Job, dominantes Auftreten innerhalb einer Männerrunde und gegenüber Frauen“, betont Fabian Lamp.

Männlichkeitsvorstellungen von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen 

Neben Männlichkeitsangeboten von Rechtsextremist*innen, die ein menschenverachtendes und autoritäres Weltbild mit traditionellen Rollenbildern verknüpfen, sieht Fabian Lamp vor allem in Männlichkeitsangeboten rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien eine Gefahr für das demokratische Miteinander. Rechtspopulismus ist in den letzten Jahren für einen größeren Anteil in der Gesellschaft anschlussfähig geworden, wie sich zum Beispiel an der letzten Bundestagswahl oder an den Landtagswahlen der letzten Jahre zeigt. „Im Zentrum dieser Männlichkeitsangebote steht das Dominanzgebaren, welches mit einem Überlegenheitsgehabe und dem Narrativ ‚Wir gegen die anderen‘ verknüpft ist. Das äußert sich dann in Äußerungen wie ‚Wir wehren uns gegen die politische Elite‘, ‚Wir wehren uns gegen Zugewanderte‘ und ‚Wir wehren uns gegen queere Menschen‘“, erläutert der Wissenschaftler. „Bedenklich stimmt mich insbesondere, dass solche Angebote stärker akzeptiert werden, weil der Diskursraum von rechtspopulistischen Akteur*innen verschoben wurde. Einiges, was vor Jahren noch unsagbar war, ist inzwischen im gesellschaftlichen Diskurs zum Teil gebräuchlich und Regeln der politischen Kultur werden durch Provokationen überschritten. Personen wie Viktor Orbán, Donald Trump oder Gert Wilders, die alle ein Bild von traditioneller, hegemonialer Männlichkeit vermitteln, sind anschlussfähiger geworden.“

„Jungs sind eben nicht so!“ – Männlichkeit ist vielfältig

Gleich ob in der Kita, der Schule oder der außerschulischen Jugendarbeit: Überall ist es wichtig, männlichen Heranwachsenden zu vermitteln, das eigene Bild von Männlichkeit zu reflektieren und entsprechende Identitätsangebote bereitzustellen. Voraussetzung für die Reflexionsarbeit mit allen Kindern und Jugendlichen, also auch Jungen, ist die Beziehungsebene zwischen pädagogischen Fachkräften und jungen Menschen. Zudem hält Fabian Lamp ausreichende Ressourcen für die Reflexions- und Identitätsarbeit mit Jungen für entscheidend: „Damit pädagogische Fachkräfte geschlechterreflektiert arbeiten können, brauchen wir genügend finanzielle Mittel und pädagogische Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote.“

In der Reflexionsarbeit selbst sieht Fabian Lamp es als bedeutsam an, eine balancierte Form von Männlichkeit zu vermitteln: „Es geht darum, aufzuzeigen, dass Männlichkeit verschiedene Facetten hat und nicht per se auf Eigenschaften wie vor allem Stärke, Dominanz und kompetitives Verhalten reduziert werden sollte. Also als Fachkraft zu vermitteln, dass Jungs sich auch zurücknehmen, andere um Hilfe bitten und eigene Gefühle äußern dürfen und sollen. Denn nur durch den Zugang zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen können auch ein soziales Miteinander und ein offener Austausch in der Gesellschaft gelingen.“ 

Auch Politik und Staat sind gefordert

Neben geschlechterreflektierenden Bildungsangeboten sieht Fabian Lamp auch politische Entscheidungsträger*innen in der Verantwortung: „Auch Politiker*innen müssen dazu beitragen, Räume der Begegnung und des offenen Austauschs zu schaffen, die auf den Grundwerten der Demokratie und des Grundgesetztes basieren. Pädagogik erfährt dann eine Grenze, wenn gefestigte extreme Einstellungen sichtbar werden, die gegen Werte wie Solidarität, Respekt und geltende Gesetze verstoßen sowie Menschenwürde missachtet. Die konsequente Verurteilung nicht-demokratischer Einstellungen ist daher auch von Politiker*innen notwendig.“

Mehr Informationen:

  • Auf dem Portal Geschlechtersensible Pädagogik finden pädagogische Fachkräfte Methoden, um mit Jungen und jungen Männern zum Thema Männlichkeit zu arbeiten.
  • Über die Reflexion stereotyper Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Musikvideos geht es im Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe von So geht Medien.
  • Methoden für die medienpädagogische Arbeit rund um das Thema Geschlechterbilder und Soziale Medien gibt es auf der Webseite des Projektes „GenderONline – Geschlechterbilder und Social Media zum Thema machen“ des JFF.