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Digitale Resilienz im Fokus: Rostocker Projekttage setzen ein starkes Zeichen gegen digitale Gewalt

Menschen, die auf Stühlen sitzen und einer Person zuhören, die einen Vortrag hält.

Ob in Sozialen Netzwerken, im Gaming oder in Messenger-Diensten: Überall dort, wo sich Menschen online austauschen, treffen und miteinander kommunizieren, können sie mit digitaler Gewalt konfrontiert werden. Digitale Gewalt äußert sich durch Abwertung, Ausgrenzung, Belästigung und Bedrohung anderer Menschen über digitale Medien oder im Internet bis in den Alltag hinein. Unter anderem zählen Cybergrooming, Cybermobbing, Identitätsdiebstahl und Online-Betrug zu Formen digitaler Gewalt. Hate Speech (Englisch = Hassrede), Fake News (Englisch = Falschnachrichten) und zunehmend Künstliche Intelligenz (KI) werden häufig als Werkzeuge genutzt, um digitale Gewalt auszuüben. Ein aktuelles Beispiel, bei dem KI verwendet wurde, um Falschnachrichten zu verbreiten, sind gefälschte KI-generierte Audiodateien der Tagesschau, die vermeintliche Entschuldigungen über angebliche Lügen in der Berichterstattung enthalten.

Wie können junge Menschen für Themen digitaler Gewalt sensibilisiert werden? Was können sie gegen digitale Gewalt tun? Wie lässt sich gleichzeitig eine demokratische Haltung stärken? Die Projekttage zur Medienbildung, die in der Medienwerkstatt Rostock, als Teil des „Lokalen Netzwerkes für ein Gutes Aufwachsen mit Medien“ stattgefunden haben, regen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Themen wie Hass im Netz, Cybermobbing und Falschnachrichten an. Im Gespräch mit Berufsschulsozialarbeiterin Kerstin Brune von Lunte e. V., Christian Heincke vom Landeskriminalamt M-V und Medienpädagoge Hannes Sternkiker der Medienwerkstatt erfuhren wir mehr über ihre tägliche Arbeit und Perspektiven in der Jugendbildung.

Das A und O: Medienbildung junger Menschen

Das übergeordnete Ziel der Projekttage, initiiert durch Kerstin Brune und Christian Heincke, die sich an Schüler*innen des Fachgymnasiums richten, ist ein kompetenter, reflektierter und sicherer Umgang mit digitalen Medien: „Wir möchten mit den Projekttagen junge Menschen dazu anregen, kritisch auf ihr Medienhandeln zu schauen, sodass sie selbstbestimmt digital teilhaben können“, sagt Kerstin Brune. Im Zentrum der Projekttage steht die eingehende und zugleich kreative Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Thema zu digitaler Gewalt. Hierzu entsteht ein Medienprodukt, wie beispielsweise ein Podcast, ein Hörspiel oder ein Video. Die Bandbreite an Themen und Gestaltungsmöglichkeiten sind hier sehr groß, es kann zum Beispiel eine reale oder fiktive Geschichte erzählt werden, ein Stop-Motion-Film entstehen, ein Interview geführt oder eine Fotocollage erstellt werden. „Uns ist es bei den Projekttagen wichtig, die Vielfalt an Möglichkeiten aufzuzeigen, die digitale Medien bieten, sich mit Themen wie Hass im Netz, Fake News und anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die online verbreitet werden, intensiv zu beschäftigen“, erläutert Christian Heincke. „Dabei knüpfen wir an die digitale Lebenswelt von heute an, die nicht mehr zwischen analog und digital unterscheidet. Das zeigt sich insbesondere in der Lebenswelt junger Menschen. Sie nutzen digitale Medien als so selbstverständliche Werkzeuge in ihrem Alltag – ob Freizeit oder Schule –, um sich zu unterhalten, auszutauschen und zu informieren. Dass, was in Sozialen Medien geteilt wird, ist also genauso bedeutsam und Teil des alltäglichen Lebens, wie ein Treffen mit Freund*innen“, schildert Hannes Sternkiker.

Kreativen Freiraum schaffen und Partizipation ermöglichen

Im Fokus der Projekttage steht dabei weniger das Medienprodukt, sondern der Prozess der Entstehung und Auseinandersetzung. Alle drei Gesprächspartner*innen sehen als besonders wichtig an, jungen Menschen zu ermöglichen, sich aktiv, bewusst und selbständig mit dem zu beschäftigen, was sie bewegt und Teil ihrer Lebenswelt ist. „Das Einzige, was wir bei den Projekttagen vorgeben, ist ein grober Rahmen, wie unter anderem das Entstehen eines Medienproduktes, eine Zwischen – und eine Endpräsentation sowie die Gruppengröße. Über die Wahl des Themas, die mediale Gestaltung, die Adressat*innengruppe und die Organisation innerhalb der Gruppe entscheiden die Jugendlichen selbst. Sie legen auch fest, wie sie die Rollen innerhalb einer Gruppe verteilen, zum Beispiel indem sie sich überlegen, wer vor und wer hinter der Kamera steht oder wer für das Licht zuständig ist. Uns geht es darum, dass sich jede Person so einbringen kann, wie sie möchte. Bei Fragen und Hilfe stehen wir natürlich beratend zur Seite“, erläutert Kerstin Brune. „Wir ziehen uns phasenweise bewusst zurück und schaffen so kreativen Gestaltungs- und Handlungsspielraum, der dazu dienen soll, selbständig das eigene Medienhandeln zu reflektieren, sich mit den anderen Teilnehmenden in der Gruppe auszutauschen und auch miteinander Prozesse auszuhandeln“, ergänzt Christian Heincke.

Zudem soll in den Projekttagen auch zum kritischen Denken und Hinterfragen angeregt werden: „Warum hast du dich dazu entschieden, etwas so zu gestalten? Warum nutzt du dieses Medium? Welche Alternativen gibt es? Uns geht es darum, junge Menschen dazu anzuregen, ihr eigenes Handeln – Medienhandeln – zu reflektieren, Inhalte im Netz kritisch zu hinterfragen und einzuordnen“, sagt Hannes Sternkiker. „Momente der kritischen Reflexion bieten auch die Zwischenpräsentationen und Vorstellungsrunden der entstandenen Medienprodukte. Hier fragen wir die Jugendlichen auch, was sie für eine Art von Produkt (fiktiv, dokumentarisch oder als Werbebotschaft) erstellt haben, wie sie ihr Produkt bewerten würden und welche zentrale Botschaft sie mit dem Produkt vermitteln wollen. Ziel ist es, sich mit einem Thema differenziert auseinanderzusetzen und zu lernen, zu argumentieren, miteinander zu diskutieren, die kritische Urteilskraft zu stärken auch gegenteilige Meinungen zuzulassen“, betont Christian Heincke.

Fehlerkultur leben

Mut haben, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Auch darum geht es in den Projekttagen. „Ich persönlich finde es wichtig, dass die Schüler*innen es auch zulassen können, Fehler zu machen. Wir ermutigen hier, Fehler offen und auf Augenhöhe anzusprechen und im nächsten Schritt dann zu schauen, wie ein konstruktiver Umgang mit Fehlern aussehen kann“, sagt Hannes Sternkiker. „Die Projekttage ermöglichen es jungen Menschen einfach mal zu machen und auszuprobieren.“, ergänzt Kerstin Brune. „Hier bekommen wir von den Teilnehmenden auch häufig die positive Rückmeldung, wie toll es ist, einen Raum und Zeit ohne starre Vorgaben zu haben, der eine Fehlerkultur zulässt“, sagt Christian Heincke.

Wie Medienbildung nachhaltig verankert werden kann

Einen wichtigen Baustein für eine nachhaltige Verankerung von Medienbildung sieht Kerstin Brune im Austausch und in der Vernetzung mit anderen Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Politik: „Ich finde es besonders wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu schauen, wie eine demokratiefördernde Aufklärungs- und Präventionsarbeit nachhaltig gestaltet werden kann. Insbesondere in Schulen als Lern- und Bildungsorte ist ein gutes Konzept, welches Medienbildung integriert, von großer Bedeutung, um junge Menschen fit zu machen für einen kompetenten und sicheren Medienumgang.“ Christian Heincke sieht zudem eine interdisziplinäre und strategische Herangehensweise als maßgeblich für eine ganzheitliche Medienbildung an: „Das bedeutet, dass Akteur*innen aus verschiedenen Bereichen, zum Beispiel aus Gesundheit und Medienpädagogik, zusammenarbeiten und sich auch mal Themen widmen, die nicht originär einem Bereich zugeordnet werden.“

Mehr Informationen:

  • Auf der Webseite des LKA M-V in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung M-V finden sich neben Unterrichtsmaterialien weitere Informationen zu Themen der Hasskriminalität.
  • Broschüre zu Hate Speech und Fake News – 20 Fragen, 20 Antworten in Kooperation mit Schüler*innen der Beruflichen Schule -Technik- Rostock, LpB M-V und LKA M-V.
  • Auf der Webseite des „Kompetenznetzwerkes gegen Hass im Netz“ gibt es weitere Informationen, Hinweise für Fachveranstaltungen und aktuelle Recherchen zu Themen um digitale Gewalt.
  • Mithilfe der Lern-App „Streitkultur 3.0“ können junge Menschen für Themen wie Hass, Gewalt und Diskriminierung im Netz sensibilisiert werden.
  • Tipps und Materialien, um Hass im Netz besser zu verstehen und darauf reagieren zu können, bietet die Trainings- und Aktionsplattform „LOVE-Storm“.